Freitag, 27. Juni 2014

WM Tagebuch - 26.06.2014 - USA gegen Deutschland

„Die Bayern, äh Deutschen sind einfach gute Fußballer…“ Jermaine Jones

Die Spieltage innerhalb der Woche sind schwierig, mir bleibt bis zum Anstoß häufig nur eine halbe Stunde für die Vorbereitungen. Ofen an, Getränk kalt stellen, Mannschaftaufstellungen lesen und interpretieren, Nivea Creme auftragen und Jogi Löw Hemd anziehen. Heute ist es natürlich nicht anders. Auf dem Rückweg von der Arbeit ins heimische WM Studio erweist sich die Teilstrecke Hauptbahnhof/ Steintor mit dem Rad als kaum befahrbar. Es gibt tatsächlich Menschen, die das Spiel vor dem Bahnhof gaffen wollen. Reichlich sogar. Dazu kommen die Reisenden und all die anderen, die schnell irgendwo hin müssen. Inklusive mir. Der Bahnhofsvorplatz hat meiner Meinung nach keine richtige Regelung wer wann wo lang fahren darf. Sich da mit dem Rad ohne großen Zeitverlust durchzuschlängeln, hat mir bereits die ein oder andere Drohgebärde eingebracht. 

Beim Steintor gehe ich kurz in den Penny. Weil ich in der Woche kein Bier trinke, erwarte ich bei den Übertragungen mindestens eine extravagante Alternative. Ist ja schließlich WM und Deutschland spielt und so weiter, und da ich eh nur Wasser zu Hause habe, ist erstmal alles extravagant. Cola ist zu süß, die Säfte leider auch. Mist, wäre ich zuerst an den Säften vorbei gegangen, dann wäre dieses Argument gar nicht erst aufgekommen. Bei Penny gibt es die Elite Schokomilch mit Schokogeschmack. Leider ist Schokogeschmack immer als erstes vergriffen. Die Elite Schokomilch mit Schokogeschmack schmeckt nämlich so wie sie heißt: Elitär. Das wäre eine echte Alternative zum Bier oder eben Wasser. Natürlich ist die Schokomilch bereits vergriffen. Vanille und Erdbeere hatte ich mal in meiner Verzweiflung oder sagen wir, weil ich so ein Freigeist bin, probiert, schmeckten aber beide überhaupt nicht nach Elite und schon gar nicht nach Schoko. Ich kaufe mir also Milch und schütte mir den Kakao halt später selber ins Glas. Ist eh günstiger. 

Als die Flimmerkiste endlich ein Bild herausrückt, stehen die Spieler noch im Tunnel, dabei müsste doch jetzt die Nationalhymne laufen. Der Grund der Verzögerung ist der starke Regen in Recife. Beim Fußball spricht der Experte vom sogenannten "Platzregen". Weil der Platz nass wird… ich bin mir nicht zu schade auch die offensichtlichen Dinge zu erläutern. 
Anpfiff. Im Grunde läuft das Spiel ausschließlich in eine Richtung. Anfangs sehr zielstrebig, nach 20 Minuten eher sporadisch. Die Amerikaner dürfen nur selten mal an den Ball und wenn, dann um ihn aus der Gefahrenzone zu dreschen. Torgefährliche Ballstafetten sieht man beiderseits kaum. Schweinsteiger ist zurück auf dem Rasen, das ist im Grunde die wichtigste Erkenntnis. Das Bayern Dreieck der überlegenen Spielkultur is back.

Jermaine Jones hat Klinsis Laufwege so sehr verinnerlicht, dass er gar nicht mehr hinschauen muss, was um ihn herum passiert. In der ersten Hälfte rennt er den Schiedsrichter um, genauer: er prallt von ihm ab. Der Athlet Jones klappt zusammen wie andere bei Liebeskummer, während der Mann in Schwarz gar nicht so richtig mitbekommt, was der Jones eigentlich von ihm möchte. Die typische Hinfallmentalität der tätowierten Fußballer Generation. In der zweiten Halbzeit rasselt er mit seinem Teamkollegen zusammen. Kinn an Kinn. Hat das Blümchen nicht mal gesungen? [Kinn an Kinn, siehst du mich? S.O.S. ich sehe dich nicht, Ich und Du immerzu Du und Ich] Slapstick können die Amis. Dafür kann Müller mit Übersicht und Gefühl, statt immer nur instinktiv. Sein vierter Treffer bei dieser WM wird mit Sicherheit bei diversen Bundesligisten als Lehrfilm zum Thema Schusstechnik gezeigt. An Ronaldos (der Echte) Stelle würde ich mir keine Sorgen um Klose, sondern eher um Müller machen. Müller spielt hoffentlich 2018 wieder mit, bei hoffentlich gleichbleibendem Pensum. Torrekord ist das Stichwort. 

Was nach dem 1:0 passiert, kennt man ja mittlerweile. Dienst nach Spielplan. Keine gelbe Karte, keine Verletzung, kein Gegentor oder Tor mehr riskieren. Abpfiff. Jogi und Klinsi haben sich wieder ganz offiziell lieb, die USA ist schließlich ebenfalls weiter, alle wirken sehr zufrieden.
Ab 22 Uhr spielen die eventuellen Achtelfinalgegner der Deutschen Mannschaft gegeneinander. Algerien und Russland. Russland ist die einzige Mannschaft, von der ich bisher kein einziges Spiel sah (von zweien). Entweder waren es die unchristlichen Übertragungszeiten oder auf N24 lief mal wieder was über den zweiten Weltkrieg oder schlicht Desinteresse, irgendetwas hinderte mich bisher daran. Algerien wird das schon machen, denke ich mir und schalte nach der letzten Berichterstattung über das Deutschlandspiel den Fernseher aus. Dieses Selbstverständnis hat mir letztendlich meinen 4er Kombi Tipp versaut. Portugal hätte nicht gegen Ghana gewinnen dürfen. Die Info über die Suspendierung Boatengs (und dem anderen da) kam für mich zu spät. Der Rest stimmte soweit, bringt aber leider nichts.

Am 4.7. geht es weiter. Die Achtelfinalbegegnungen klingen nicht gerade wie das Who is Who des Weltfußballs. Auch sind die Begegnungen merkwürdig getaktet. 28.6. Südamerika gegen Südamerika, zweimal. Am 29.6. Europa gegen Zentralamerika, zweimal. Am 30.6. Europa gegen Afrika, zweimal. Am 1.7. Süd- und Nordamerika gegen die beiden Steuerparadiese Schweiz und Belgien. Aber bei einer Weltmeisterschaft geht es ja um den Sport und nicht um die einzelnen Länder- oder Verbandsinteressen!

Freitag, 20. Juni 2014

WM Tagebuch - 21.06.2014 Deutschland gegen Ghana

Spanien raus, England raus und zur Überraschung aller: Australien raus. England hat sich nie wieder von der 4:1 Achtelfinalniederlage bei der WM 2010 erholt. Mehr Erklärung braucht es nicht, um das frühe Ausscheiden der Inselaffenbewohner zu begründen. Bei den Spaniern kann man nicht mehr von ausscheiden reden, die haben schlicht versagt. Das muss man sich mal vorstellen, da fährst du als talentiertes spanisches Nachwuchstalent, und davon gibt es viele, mit zur WM nach Brasilien und willst was reißen, aber die alteingesessenen Kollegen haben keine Lust auf einen weiteren internationalen Titel und den ganzen Rummel drum herum, die wollen lieber Urlaub machen. Das ist doch scheiße. Meinen Tipp versaut hat es obendrein.

Endlich ein Samstag. Zwei Alternativen zum Fußballschauen stehen zur Auswahl. In der WM Scheune zu Rehm oder auf dem Hämelhausener Schützenfest. Garantiert kein Public Viewing. Nur Viewing. Der Punkt geht an Hämelhausen. Zudem haben Martin und ich noch nie ein Spiel zusammengeschaut, bei dem wir beide gemeinsam FÜR eine Mannschaft waren und nicht gemeinsam GEGEN eine Mannschaft.

In der Nordstadt sind mehrere Straßen gesperrt, die Polizei stellt ordentlich Leute ab, die sich gut gepanzert unter die Vordächer der Bürogebäude in der Innenstadt verschanzen. Das muss am Deutschland Spiel liegen, denke ich noch, da fallen mir die ersten Bühnen und Menschentrauben auf. Ach ja, Fete de la Musique ist ebenfalls heute. Wie doof. Um 21 Uhr endet die Fete de la Musique, pünktlich zum Anstoß. Viele werden vermutlich gleich an Ort und Stelle das Spiel verfolgen wollen. Welch Trubel, schnell aus der Stadt raus. Um 17 Uhr holt Martin mich vom Bahnhof ab. Bevor es auf das Schützenfest geht, schauen wir in der "WG des alternativen Lebensentwurfes" das Argentinien Spiel. Messi erlöst die Gauchos in letzter Minute. Ob der das mit Absicht macht? Gut genug dafür wäre er. Mir soll es recht sein, so war es schließlich von mir geplant. Es gibt Caipirinhas.

In einem Nebenraum der Sportanlagen des SV Hämelhausen steht, passend zum Großteil der Leute, eine Leinwand. Irgendwer holt Tablettweise Bier ran. Das Spiel verfolge ich nur noch emotional. Die Analyse, das elitäre Lesen des Spiels, fällt weg. Also doch wie Public Viewing hier. Zu meiner Überraschung wird Mitte der zweiten Halbzeit Schweinsteiger eingewechselt, obwohl ich der festen Überzeugung war, dass der schon lange auf dem Platz rumbogt. Klose schießt das erlösende 2:2. Das sollte reichen, um am letzten Spieltag alles selbst in der Hand zu haben. Man muss halt alles gewinnen bei einer WM, oder zumindest darf man nicht verlieren. Dieses rumtaktiere am dritten Spieltag halte ich für Spielrhythmusstörende Wettbewerbsverzerrung. Es kann nur vom Vorteil sein, wenn die Deutschen noch nicht hundertprozentig durch sind.

Wir hocken an der Sparkasse. Jenny holt uns ab. Tobi kommt in den Kofferraum. In Haßbergen angekommen, haben wir Tobi vergessen. Ach nee, der ist nur eingeschlafen und wurde ganz bewusst wieder mitgenommen. Okay. In Haßbergen läuft eine große Party. Das Beachsoccer Turnier wurde beendet. Merkwürdig, niemand redet über Fußball. Angenehm. Irgendwann ging es zurück nach Hämelhausen. Grillen und Freeclimbing.

Dienstag, 17. Juni 2014

WM Tagebuch - 16.06.2014 Deutschland gegen Portugal

"Müller kann nichts dafür, dass Portugal 2:0 hinten liegt." Mehmet Scholl

Heute geht für Deutschland die WM los. Ich bin bereits seit dem 12. Juni voll dabei, während Jogi auf dem Trainingsgelände für das Fernsehen den immer gleichen Trick versaut, er will den Ball hinter seinem Rücken mit der Hacke spielen und jedes Mal plumpst der Ball einfach ab, vielleicht sind das auch Archivbilder aus Südafrika, jedenfalls versprüht er unheimlich gute Laune. Der Kommentar zu den Bildern lautet: Jogi macht sich keine Sorgen. Oder waren es Gedanken?
Ich wette zum ersten Mal mit Geld, um noch viel mehr Geld. Bisher habe ich gut was wegorakelt, nur die gekoppelten Wetten in der Firmeninternen Tippgemeinschaft wollen noch nicht so ganz. Die Niederlande (klingt schon wie Niederlage) hat die übersättigten Spanier abgefoltert und Kolumbien kann auch ohne Falcao Tore schießen. Costa Rica gewinnt zwar nie wieder gegen Uruguay, das Ergebnis war für die Kombiwette aber bereits egal. 

Heute also die Deutschen. So recht überzeugt bin ich nicht vom Kader, aber das war ich 2002 auch nicht. Allein Höwedes in der Abwehr und Lahm auf der 6 halte ich mindestens für fragwürdig. Ich hätte lieber Boateng in der Innenverteidigung gesehen und Hummels auf der Bank. Talent hin oder her, bei großen Turnieren sehe ich die Dortmunder nicht in der Mannschaft, da kamen bisher immer nur mittelmäßige Leistungen bei rum. Jögis Momentaufnahme sagt was anderes und er ist nun mal der Boss. Dazu hat das deutsche Team mit einer Verletzungsmisere zu kämpfen. Viele sind angeschlagen in das Turnier gegangen, noch mehr sind erst gar nicht mitgereist. Das geht für mich schon bei Badstuber los.

Was die Berichtserstattung aus dem Camp der Deutschen in den letzten Tagen preisgab, glich einer Klassenfahrt von Hochbegabten. Alles lief Mustergültig ab. Man sah die Spieler vorbildlich mit Gürteltasche um die Hüfte, dass bloß nicht das Portemonnaie gestohlen wird, peinliche Tänze mit gecasteten Einheimischen wurden vollzogen, selbst Großkreutz scheint seine Blase im Griff zu haben. Solche Bilder sagen gar nichts aus, das reicht gerade mal für den Kommentar: Die Stimmung ist super. Wer sollte auch weshalb mosern?

Während der Mittagspause kaufe ich im Lidl Markt Pizza für 1,79€ und naturtrüben Apfelsaft. Das Bier in diesem Laden kann man niemanden anbieten. Ich schaue mir das Spiel zwar alleine an, dennoch will ich kein Bier aus einer Petflasche nuckeln. Ich stelle mir vor, wie mich jemand beim Kauf des Apfelsaftes erwischt und ich stolz verkünden kann, ich würde gesund leben, nur auf Zucker möchte ich nicht verzichten. Fußball und Zucker, das gehört halt zusammen. Naja, überzeugend klingt das nicht und sollte für den Ernstfall dringend überdacht werden. Die Wahrheit ist, ich trinke nur in Gesellschaft oder in der Öffentlichkeit. Alles andere käme mir wie ein Problem vor. Der Pizzakarton passt nicht in meinen Wanderrucksack, weshalb ich aus dem Rucksack kurzerhand einen Wärmetauscher mache und den Karton Vorort wegschmeiße. Die Pizza taut langsam auf und hält gleichzeitig den Apfelsaft kalt. So spare ich hoffentlich Zeit und die Umwelt erst!

Um 17:25 ist Feierabend. Mit dem Rad bin ich um 17:40 zuhause. Ofen an. Getränke kalt stellen. Fenster sporadisch abhängen, wenigstens ist es heute bewölkt, nehmt das! ihr Public Viewing Arschlöcher. Die letzten Berichterstattungen nachholen. Anpfiff. Das Spiel lesen. 

So der Plan. Auf den Straßen ist auffällig viel los, dann fängt es auch noch an zu regnen. Am Bahnhof scheint ebenfalls eine Leinwand aufgebaut zu sein. Der Bahnhof ist ja wohl der erbärmlichste Ort, um das Spiel zu verfolgen. Zu hause angekommen, will der Receiver mal wieder neu eingestellt werden und durchläuft sein Suchmenu. Was das jedes Mal soll, bzw. verursacht? Ich weiß es nicht. Rechtzeitig zur Nationalhymne läuft die Glotze. Es singen überraschend viele Nationalspieler die Hymne mit. Özil, Khedira und Boateng kennen womöglich den Text nicht, das muss ja nicht immer was mit Patriotismus, Stolz oder Ehre zutun haben. Singt Balotelli eigentlich bei den Italienern die Hymne mit?

Die Deutschen funktionieren wie gewohnt auf den Punkt. Sie machen ein super Spiel, selbst Höwedes gliedert sich nahtlos ein und was ich über Hummels dachte, blitzt nur in wenigen Aktionen auf, in denen er bereits gewonnene Laufduelle mit einem Foul abschließt. Sein Kopfballtor ist allerdings klasse. Zur Halbzeit steht es 3:0, Müller sei Dank. Wer Poldi schon für einen Witzbold und Sympathieträger hielt, muss Müller lieben. Intelligente, humorvolle Interviews, unkonventionelle Spielweise, Laufwunder und Urbayer. Cristiano Ronaldo verbringt genauso viele Stunden vor dem Spiegel wie auf dem Trainingsplatz, um der optimale Werbeträger zu sein. Müller hingegen läuft solange er kann, wohin er denkt und setzt sich optisch auf dem Spielfeld ab, indem seine dünnen Waden die Stutzen nicht oben halten können. Kurz: auf Müllers Präsenz ist Verlass, wie auf Pepes Dummheit. Rot für Pe „Flying Elbow“ Pe, wie ich ihn nenne. Real Madrid stellt über Generationen die vielleicht dümmste Clubmannschaft der Welt, und die erfolgreichste. Ob da ein Zusammenhang besteht? Meiner Kreisklassenerfahrung nach: ja.

In der Halbzeit schalte ich um und etwas ab vom Spiel. Auf Pro7 laufen die Simpsons mit „Wer erschoss Mr. Burns“, sehr gute Folge. Maggie Scholl, der gerne der Entdecker, Förderer und Freund von Thomas Müller wäre, lobt die Mannschaft. Zu Recht. Er sagte mal, ist Müller gut drauf, ist Bayern gut drauf. Das zählt offensichtlich auch für die Nationalmannschaft. Ich würde den Niederlanden gerne so lange wie möglich aus dem Weg gehen, aber zu sehen, wie die ehemaligen Schüler von Luis van Gaal ihren alten Entdecker, Förder und Freund aus dem Turnier schießen, wäre zu schön. 

In der zweiten Halbzeit verkommt Ronaldo endgültig zum Schatten seiner Selbst. Lahm bildet eine Einmannmauer und genau den 1,50m großen Lahm schießt Ronaldo an… Müller vollendet den vierten Treffer in bester Müllermanier, der Rest ist Fußball nach Spielplan. Beide Mannschaften wollen sich nicht mehr abkämpfen. Nach dem Abpfiff popelt Jogi in der Nase, gibt daraufhin Cristiano Ronaldo die Hand und tätschelt darauf rum. Ein Schönes Schlussbild.

Was die Kombiwetten angeht hat Nigeria uns den Tipp versaut. Ey, wenn ihr nicht wisst wohin mit dem Ball, dann spielt ihn zu mir. Klinsi hat seinen Job erledigt, bringt aber wieder mal nichts.