Sonntag, 12. August 2007

neulich bei Ihr

„Jetzt sitz` ich hier mit meinen vier Programmen und denke die besten Wochenenden hatten wir zusammen. Genau so eins könnte ich mal wieder vertragen, ich würde längst Sturmschellen, wollte nur lieber mal fragen“ Dendemann
 
“All I want is your understanding
As in the small act of affection
Why is this my life
Is almost everybody´s question
And I´ve tried, everything
But Suicide
But it´s crossed my mind” Cee-Lo Green

"Jetzt stell dir vor, so eine Vorstellung wäre nichts für dich und du wehrst dich schlicht, dann wärst du wie ich“ Pahel
Es regnet. Nachdem ich bei ihr Klingel, klickt kurz die Gegensprechanlage auf, ein einfaches „Hallo“ von mir reicht aus und der Türsummer folgt dem Klicken. Sie ist weggezogen. Raus. Nicht raus auf das Land, sondern raus aus der Einöde, in die Stadt. Auf dem Weg zu ihrer Wohnungstür im Erdgeschoss muss ich durch den weiß gefliesten Gemeinschaftsflur. Den muss sie sicherlich auch sauber halten oder ist eine Putzfrau im Mietvertrag inbegriffen? In dem Flur steht ein Rad. Es ist neuer oder zumindest nicht kaputt, ob das ihres ist? Ich habe sie noch nie auf einem Rad gesehen. Die Tür steht einen Spalt offen, sie empfängt mich nie persönlich an der Tür. Ich klopfe zweimal und trete ein. Sie ist, wie immer wenn ich vorbeischaue, zuerst im Bad. Ist das ein gutes Zeichen? Und was macht sie da für die zehn Sekunden?
- Hey Hey Hey, ich bin einwenig spät, die Bahn halt.

Sie umarmt mich, eine beschissene Geste wie ich finde, erstrecht wenn man untereinander ist. Ginge es nach mir, müsste man sich unter Freunden nicht die Hand geben, geschweige denn umarmen oder die Luft küssen, kein rhetorisches: wie geht es dir? und auch kein Bitte oder Danke. Das ist alles überflüssig wenn man sich einig ist.
- Ieehh, nass.
- ja, trotz Taxi. Ich habe mich schon wieder auf den Beifahrersitz gesetzt, dabei nehme ich mir jedes Mal vor,  wie die Amerikaner, hinten einzusteigen.

Sie trägt eine rosa Jogginghose, die einwenig länger hätte ausfallen können, man sieht die drei bunten Streifen am Gummibund der Tennissocken. Dazu trägt sie einen schwarzen Pullover von Armani, den kenne ich noch von früher, sonst hätte ich die Marke nicht erkannt. Alles wirkt so, als ob sie gerade vom Kiosk kommt, Zigaretten holen. Aber auch irgendwie gemütlich, wäre ich nicht nass. Die Wohnung ist groß. Zu groß für die wenigen Möbel, zu groß für sie. Es wirkt, als wäre sie immer noch nicht ganz eingezogen oder müsste nächste Woche wieder ausziehen. Hotelzimmer sehen so aus. Derweil liegt sie auf dem Sofa, raucht Marlboro light im Softpack und schaut Talk Shows. Mit ihr auf dem Sofa zu liegen und sich über die anderen Assis im unterschichten Fernsehen lustig zu machen, ist ein guter Anfang, denke ich. Aber zuerst will ich mir die gesamte Wohnung anschauen.
- Ich schaue mir mal deine Wohnung an.

Es ist ewig her, dass ich das letzte Mal hier war. Direkt nach dem Einzug war das, weil ich aus irgendeinem Grund ein schlechtes Gewissen hatte. Die Küche sieht vertraut aus. Ach so, alles von IKEA. Hier wird aber nicht viel gekocht. Alles sauber, fast neu, keine Kochbücher, keine aus dem Internet ausgedruckten DIN A2 Blätter mit schnellen Rezepten darauf, keine angefangenen Wein- oder Sektflaschen im Kühlschrank. Nichts was eine Geschichte erzählt. Ich versuche mir vorzustellen, wie sie hier steht und mit drei überkochenden Töpfen fertig wird. Es klappt nicht.
Ihr Schlafzimmer ist öde. Hier kann man schon aufwachen, aber nicht liegen bleiben. Kein Fernseher. Das Bad fällt in Wohnungen immer zu klein aus und ist in bester hörweite zu allen anderen Räumen. Es sieht überall so aus, als ob Architekten nie scheißen müssten.
- Was haste denn gedacht, könnte man heute unternehmen?
Kommt es aus dem Wohnzimmer.
- Gegenseitiges betrunken machen?!

Mittlerweile werden auf Pro 7 Berichte von Frauen mit der Konfessionsgröße 0 gezeigt. Klatsch und Tratsch, das macht mir schon weniger Spaß dabei zuzusehen. Ich will Musik anmachen, aber ich finde nicht eine einzige CD. Sie hat eine tolle, aus Bausteinen bestehende Anlage, aber keine CDs?
- Wenn du Musik suchst, die ist im Auto.
Tatsächlich nicht eine einzige CD im Haus!
-Ich dachte du hättest dein Auto verkauft und bist auf Rad umgesattelt? Ich habe eines im Flur stehen sehen.
- Wollte ich ja auch, aber dann irgendwie doch nicht. Das Rad gehört dem Arschlochnachbarn, dem Spannerarsch. 

Aha, noch nie von dem gehört. Sie besitzt weder ein CD-Regal noch ein Bücherregal oder irgendetwas Ähnliches. Da will ich auch gar nicht vorschnell urteilen, keiner meiner Bekannten besitzt so was und früher war es mir auch egal. Dennoch hängt Billy oder Bob oder Billybob von IKEA an der Wand und darin nichts was von Geschmack zeugen könnte. Plasikblumen die im Dunkeln leuchten können, eine Uhr, die dasselbe kann und anderer Kitsch werden darin ausgestellt. An der reichlich vorhandenen freien Wandfläche hängen Bilder mit ihr und einem Pferd darauf. Alles normal pubertär.
- Das sind Pferdi und ich. 

Stimmt, davon hat sie mal erzählt, sie musste ihren Gaul verscherbeln. Ich hätte ihr vom Bahnhof eine Wendy mitbringen können, zum Trost und zum Beweis, wie gut ich am Telefon zuhören kann. Sie ist fünfundzwanzig und hat scheinbar keinerlei Interessen mehr, zumindest stellt sie diese nicht öffentlich aus.
Ich stehe am Fenster und schaue auf die Straße. Es geht circa zwei Meter runter, dann kommt der Fußgängerweg. Zuwenig zum springen.
- Hatte deine Mutter keine Angst vor Einbrechern? wenn du in das Erdgeschoß ziehst, meine ich.
- Nö.

Hm. Meine Arme sind vor der Brust verschränkt und ich wippe vom Haken auf den Ballen vor und zurück. Für einen Sonntag regnet es gewaltig viel. In der Stadt hat Niemand etwas vom Regen, besonders wenn dieser auch noch sauer ist. Es sei denn, die haben hier ein Mischsystem und das Regenwasser wird benötigt um das Schmutzwasser zur Kläranlage zu spülen. Das denke ich wirklich, so sehr langweile ich mich. Man, ist das Scheiße hier. Ich setze mich neben sie und überlege, ob ich mich an einem Club erinnern kann, der auch gut ist.
- Lass uns ins Acer gehen! Vorher kaufen wir ein und schauen DVD.
Sie denkt nicht nach, trotzdem lässt die Antwort ewig auf sich warten.
- Ich habe keine DVDs.
Wow, ich frage mich, warum wir früher eigentlich befreundet waren? Weil mir alles egal war? Klar, sie sieht gut aus, das wird mir wohl nie egal sein. Zum Glück. Aus Zeit verbringen, wird Zeit totschlagen.

- Was hast du die letzte Zeit getrieben?
Sie erzählt von einem Typen, wohl ihr Freund und wie dämlich der sich benommen hat. Es scheint, als ob es ihr wichtig wäre, sie erzählt aber so schnell und gleichzeitig stoisch vor sich hin, dass ich die Lust verliere zuzuhören. Das kann es doch nicht sein, die Geschichte dauert sehr lange. Hin und wieder sage ich: also ich hätte das nicht gemacht, oder: ja, sehe ich genau so. Leider klappt das sehr gut. Ich bin keine Alternative für sie, das haben wir bereits vor Jahren versucht. Sie gibt mir das Gefühl, dass ich sie tierisch langweile, ich eine Zumutung bin.
- Wollen wir etwas essen gehen und dann ins Nachtleben?

Ich gebe mir Mühe den Abend zu designen. Als Kumpelfreund ist es meine Mission sie aus dieser Lethargie herauszuholen, schätze ich.
- Mal sehen, ob ich was zum anziehen habe.
 
Was für ein Satz. Sie hat zu nichts wirklich Lust. Ich überlege, ob ich sie gestern angerufen habe oder sie mich. Letztendlich muss ich ins Handy schauen. Peinlich, wir sitzen nebeneinander sagen nichts und fummeln am Handy rum, anstatt aneinander. Oh, eine SMS von ihr: „Bring Beck´s Lemon mit! Habe nichts hier!“ Von dem Zeug wirt doch noch nicht einmal eine Zwölfjährige betrunken. Was das soll? Sie hat mich angerufen! Warum?
- Es ist doch nun wirklich scheißegal, ob wir nass werden. Wir schauen die Simpsons und trinken meinetwegen dieses Beck´s Light Bier und vielleicht hat es bis dahin sogar aufgehört zu regnen.
Mein letzter Versuch.
- Ich finde die Simpsons doof.

Uff. Ich kenne nicht viele Menschen, die keinen Platz im Herzen für die gelbe Familie haben. Mit ihr sind es zwei. Also irgendwie selbst unterhalten. Die richtigen Fragen, die ein Gespräch beleben, fallen mir bei ihr nicht ein. Ich kann mich nur über Musik, Bücher, Fernsehen und Fußball unterhalten alles darüber hinaus wird in einen aufreibenden Streit enden. Meine resoluten, schwarzweißen Ansichten würden ihr Angst machen. Meine Ideologie ist eben nicht nett, demokratisch oder die von Ned Flanders, sondern scheiß realistisch und bewusst. Das versteht nicht jeder und ich habe es satt immer wieder erklären zu müssen, warum ich zum Beispiel Klischees mag, wobei die doch einen so schlechten Ruf haben. Mir ist nichts Gleichgültig. Also lieber die Schnauze halten. Ich bin auf gar keinen Fall kompliziert, es hat alles eine klare Linie, meine Ideallinie, das ist mein ERNSTL. Wir haben uns beide sehr verändert.

Meine Fresse, ich bin aber auch langweilig… ne ne ne, noch nicht. Das hier liegt jawohl nicht an mir. Das kann ich mir später einreden, auf dem Rückweg, im Zug. Sie kommt damit offensichtlich besser zurecht. Nach vorne schauen, durchhalten, jetzt heißt es: Fronten…
Als ihr Softpack leer ist, schlage ich ihr vor, dass sie sich schon mal aufstrapst und ich hole in der Zwischenzeit Zigaretten und Alkohol. Ich gehe aus der Wohnung und habe nicht vor wieder zurückzukommen. Das einzige was ich bereue, ist, dass es die Sendung „Bitte melde Dich“ mit Jörg Wontora nicht mehr gibt. Nachdem die schwere Haustür ins Schloss gefallen ist, fühle ich mich 21 Gramm leichter. Es regnet immer noch und ich konnte natürlich kein Taxi rufen.

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