"Die Strafe entspricht der Schuld: aller Lust zum Leben beraubt zu werden, zum höchsten Grad von Lebensüberdruß gebracht zu werden." Kierkegaard
Ich habe am Samstag die Ausstellung Go for it! Olbricht Collection (a Sequel) in der Weserburg –Theater für moderne Kunst– besucht. Für einen Euro mehr, kann man eine Kombikarte erstehen und das gegenüberliegende GAK (Gesellschaft für Aktuelle Kunst) gleich mitbesuchen. Habe ich gemacht.
Ich gehe privat nicht besonders oft in Museen, eher selten oder für den, der es ehrlich mag: nie. Demzufolge bewege ich mich nicht so selbstsicher durch die Gänge, wie das die Rollkragenpullovertragenden Kunstinteressierten tun, die ihre Arme hinter dem Rücken verschränken und das Programmheft bei sich führen. Sie beugen sich bei jedem Bild leicht vor, als wären sie in der Adult Ecke der Videothek gelandet. Diese Leute erkennen vermutlich auch nicht mehr als ich wenn sie über ihren Brillenrand schauen.
Über die ausgestellten Künstler hatte ich mich vorher überhaupt nicht informiert.
Kunst ist wie Musik, dachte ich. Wenn mich der Song oder das Bild oder die Kunst an sich nicht innerhalb von 30 Sekunden erreicht, dann kriegt es mich nie. So darf man ruhig denken, keine Angst vor der Hochkultur.
Die Gänge sind lang und verwinkelt, viel schlimmer als in jedem Supermarkt. Ich legte ein ziemliches Tempo vor und bekam beim überholen der anderen Besucher ein schlechtes Gewissen. Die 30 Sekundenregel befolgen! was sollen sonst die anderen denken? ermahnte ich mich.
Die Bilder und Skulpturen sahen wirklich gekonnt aus. Ich könnte jetzt über die hohe Kunst der Fuge fabulieren, habe aber offen gesagt überhaupt keine Ahnung davon. Die Kunst ist zum Glück modern und deshalb sehr ausdrucksstark. Im ersten Teil fließt viel Blut, Totenköpfe, Gerippe, nackte Menschen in eindeutigen Positionen, Titten, Schniepel und so weiter. Kann man denn noch mit Sex schocken oder ist das schon der Sex nach dem großen Schock?
Es muss ja immer weitergehen mit dem Sex, auch in der Kunst.
Ein Dom wurde von Wim Dolvoye in einem geschätzten Maßstab von 1:100 aus Metal nachgebaut, nachgebogen. Da erkennt man die Zeit, die Anstrengung dahinter und das Detail darin, das ist Stumpf, das gefällt mir.
In den anderen Teilen ging es gesitteter weiter, dafür wurde es politisch. Es waren viele wirklich gute Ideen dabei. Eine Flagge von einem Fantasiestaat gefiel mir sehr. Die politischen Hintergründe verstand ich nicht. Der Beitrag kam auch von einem spanischen Künstler und alle Informationsfetzen waren, eben drum, auf Spanisch.
Der Eintritt hatte sich nach einer Viertelstunde bereits amortisiert. Ich entdeckte ein Bild, das mich auf eine fabelhafte Idee für die eigenen vier Wände brachte. Ich fotografierte es. Kurzzeitgedächtnis wie ein Sieb, Langzeitgedächtnis wie eine Höhlenmalerei.
Schmunzeln musste ich bei einem Arrangement zweier Zurechtgerissener Zigarettenschachteln. Eine Malboro Light Schachtel wird von einer Malboro Schachtel gefickt. Die Starken ficken die Schwachen. Eine andere klasse Idee war es, aus Eiswürfel ein Iglu im Gefrierfach zu bauen.
- „Hast du Eiswürfel da?“
- „Ja, im Gefrierfach.“
und dann, beim öffnen das Faches: BÄM, ein Iglu. Ist das noch Design oder schon Kunst?
So was gefällt mir jedenfalls. Der Gedanke das ist ja simpel, da hätte ich auch selber drauf kommen können kam mir nicht in den Sinn. Es wirkt so simpel weil schon jemand darauf gekommen ist.
"Also dieses Bild heißt Sunnyboy Pupseis. Ich mein` wer das nicht haben will ist dumm. Ich mein` japanische Uhr, ist doch genial." Jonathan Meese
Einige Collagen erinnerten mich an eine Dokumentation, die ich über Jonathan Meese gesehen habe und andere wiederum an Plattencover. Ein schneller Blick auf das Datum neben dem Bild zeigt recht deutlich was zuerst da war. So elitär kann die Kunst nicht gewesen sein. Manches kannte ich aus dem Internet, bzw. musste bereits als Profilbild des einen oder anderen Social Network Users herhalten.
Ich bilde mir ein, vieles verstanden zu haben und nehme mir heraus, einiges davon nicht zu mögen.
Im GAK bekomme ich von der emsigen Kassiererin einen Zettel in die Hand gedrückt. Sie meinte, das müsse man für das Verständnis gelesen haben. Ich fragte sie, ob ich mir die Ausstellung nicht ersteinmal anschauen könne, meine Gedanken dazu machen dürfe und erst dann die Rechtfertigung lese. Es ging nicht, der Künstler lässt keinen Platz für Interpretationen zu und damit es überhaupt keine Missverständnisse gibt, war die Besichtigungsroute vorgegeben. Die Kassiererin meinte noch, es gäbe auch ein erklärendes Interview auf Video in einem der Räume. Ich bedankte mich mit den Worten ich kann lesen und ging entgegengesetzt des vorgegebenen Weges. Betrachten wir es als künstlerischen Akt.
Die Ausstellung von Matt Mullican hat mir nicht gefallen. City as a Map (of Ideas) ist das Thema. Kartenausschnitte von Hamburg und Fotografien von Badezimmerutensilien müssen für seine Ideen herhalten. Vorstellen kann man sich das Ganze wie den McDonalds Autobahnatlas, in dem alle McDonalds Restaurants eingetragen sind. Anstatt McDonalds Restaurants sind es bei Mullican eben Enzyklopädien. Mir gefällt es nicht, zu simpel, da hätte ich auch selber drauf kommen können. Den beiden Französinnen, die den Rest der Besuchermassen bildeten, schienen die Detailüberladenen Karten zu gefallen. Sie unterhielten sich ganz angeregt. Le Croissant de Baguette usw.
Was passiert eigentlich mit Menschen, die Kunst nicht weiterempfehlen möchten? Werden die grundsätzlich als Banausen oder als dumm oder gar als dumme Banausen abgestempelt?
Wenn dem so ist, dann mal los.
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