"Ab und zu und ab und zu oft blick ich zu Boden
was soll ich euch noch erzählen außer ein paar kleinen Episoden" Dendemann
Wenn man bei mir die Straße runter geht, so grob Richtung Flughafen, dann kommt man zwangsläufig zu den hässlichen Mehrfamilienbauten, die bevorzugt von Familien mit Rotzlöffelkindern bezogen werden. Die Slums von morgen, schon heute. Diese 30stöckigen architektonisch einfältigen Skelettbauten markieren überall den Stadtrand. Es leben so viele Menschen auf engsten Raum gegeneinander, dass sich in der unmittelbaren Nähe eine eigene Infrastruktur bildet.
Meine Slums haben noch den ersten Anstrich und wirken so, als ob hier wirklich an ein fortschrittliches Wohnkonzept geglaubt wurde. Neben der Apotheke und dem Friseur gibt es einen Penny und einen Plus geradewegs gegenüber. Vor einer Gaststätte, die gleich mehrere Kegelbahnen aufbieten kann, sitzen Rentner im Jogginganzug, kombiniert mit Sandalen, und begaffen die Anwohner, um sie beim Falschparken zu erwischen.
Wenn die Sonne durch die Regenwolken bricht und auf den Sichtbeton scheint, dann komme ich mir vor wie an der Nordsee. Die ganzen Markisen und der falsche Italiener tragen ebenfalls ihren Teil dazu bei. Braunschweigs Innenstadt ruft dieselbe Assoziation in mir hervor. Nordseeurlaub war nie so toll. Bis heute habe ich den Verdacht, dass meine Eltern mir irgendeine schlimme, in meiner Kindheit diagnostizierte, Krankheit vorenthalten. Anders kann ich mir diese Saunatherapien und Wattwanderungen nicht erklären.
Im Gegensatz zu den Slums leben in meinem Haus ganz genau acht Parteien. In letzter Zeit gab es eine große Fluktuation. Die Nachbarn unter mir sind ausgezogen. Schätze mal wegen mir. In meiner ersten Woche kamen die an meine Tür und schenkten mir diese filzigen Lärmblocker für unter die Stuhlbeine. Darauf fragten sie, ob ich hier nun wohnen bliebe oder ob die Vormieterin, dieses unkommunikative Trampeltier, wiederkommen würde. Da konnte ich sie beruhigen.
Neben mir wohnte ein junger Airbus Mitarbeiter und Mountainbikefahrer. Mountainbike in Bremen… Der ist jedenfalls auch raus und dafür ein junges Paar drin. Die sind ganz nett, von denen habe ich mir mal einen Korkenzieher geliehen. Unten links wohnt eine ältere Dame, die mit einem südländisch aussehenden Typen eingezogen ist. Auf dem neuen Klingelschild standen zwei Namen, also nicht verheiratet. Standen, weil eine Woche später der hintere Name grob weggerissen wurde. Den Mann habe ich seitdem nicht mehr gesehen. Hat wohl nicht funktioniert. Jedenfalls wohnt die ältere Dame jetzt mit ihrer Tochter zusammen. Ob die Tochter volljährig ist, ist schwer einzuschätzen. Ansonsten hätte ich gesagt: scharfe Scherbe.
Im Hausflur habe ich vor kurzem vier junge Menschen getroffen. Höchstwahrscheinlich Studenten. Der einzige Junge unter ihnen und eine der jungen Frauen sahen aus, als ob sie direkt vom Mittelmeer hergezogen seien. Sie sprachen auch nur spanisch miteinander. Die anderen beiden Ladies waren, und diesmal bin ich mir absolut sicher, wahnsinnig Attraktiv. Abends hörte ich auf dem Flur wie Singer Songwriter Musik aus der Wohnung kam, was meinen ursprünglichen Verdacht, dass es sich hier um Stundenten und Spanier handeln müsse, bestätigte.
Bis auf diese zufälligen Begegnungen treffe ich nie jemanden aus dem Haus an. Dabei steigt nicht nur wegen der jüngeren Menschen mein Interesse an der Nachbarschaft.
Es interessiert mich brennend wer von denen meine Mülltonne mitbenutzt und wer die zweite Papiertonne beschlagnahmt hat und wer meine Zeitung aus dem Briefkasten klaut. Okey, dagegen habe ich nichts, es ist dennoch unheimlich. Ein anderer Mieter stopft dafür seine Tageszeitung und Reklame bei mir in den Kasten. Ist es derselbe, dem die Katzen im Flur gehören? Meine Pakete nimmt auch irgendwer unkommentiert entgegen und legt sie vor meine Tür. Nett, aber bei wem bedanken und wen schreiend aus dem Kellerverschlag anspringen, wenn er oder sie auf den Weg zu den Mülltonnen ist? Irgendwer lässt im Keller auch immer das Licht brennen. Wenn ich aus dem Haus gehe, sehe ich oft zwielichtige Gestalten hinter ihren Vorhängen stehen, wie sie mich beobachten, so, als ob ich der Böse wäre. Die führen bestimmt Buch, um ihre Anschläge besser planen zu können.
Wenigstens gibt es hier keine Rotzlöffelkinder.
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