Dienstag, 17. Januar 2012

Ein Wand frei 2.0

„Ich habe mir nie Gardinen zugelegt, weil ich mich hier nicht wohl fühlen wollte.“ (ungefähr) Benjamin von Stuckrad-Barre

Wenn ich fremde Wohnungen betrete, werde ich schnell neidisch. Die anderen gestalten ihre Räume offen, setzen Möbel gezielt in Szene und verwenden Farben in den richtigen Kombinationen. Stichwort Komplementärfarben. Meine Wohnung ist dagegen das, was die Abstellkammer für den Innenarchitekten ist. Zu gerne würde ich den schmalen Grad zwischen hin- und zugestellt einschätzen können. Pflanzen sind ein großes Plus wenn es um das Wohnklima geht, das ist mir bewusst, leider passen sie sich meinem Engagement gegenüber der Raumgestaltung schnell an. Nach spätestens drei Monaten verlieren sie die ersten Blätter und damit ihre Wirkung. Erstmal schiebe ich es auf die für die Pflanzen falsche Jahreszeit, egal welche Jahreszeit gerade ist. Aber spätestens wenn die Fruchtfliegen um den letzten Sprössling kreisen, gebe ich die Hoffnung auf. So wie die Mafia ihren Schuldnern die Füße einbetoniert und im Meer entsorgt, entsorge ich die Pflanzen umgetopft in die Zimmerecke und lasse sie von dort aus mit ihrem morbiden Charme spielen. Ich weiß nicht woran es jedes Mal scheitert. Zu viel Wasser oder zuwenig Sonnenlicht? Die Kombination aus beidem wird es sein. Gut gemeint ist oft das Gegenteil von Gut.

Meine Stärke liegt eh in den Accessoires. Zum Beispiel kaufe ich nur die Pflegeprodukte, die auf die sensible Haut des Mannes eingehen. Dabei ist meine Haut so sensible wie die von Thomas Doll. Darauf kommt es mir auch gar nicht an. Ob nun pflegend und beschützend oder beruhigend und erfrischend, letztendlich ist die Wirkung eh eine reine Kopfsache. Das wichtigste ist, sie sind Duftneutral. Sorgfältig im Bad aufgereiht, sprechen die grundsätzlich in Weiß gehaltenen Produkte für einen akkuraten, modernen Typ Mann. Da will jemand wirken oder hat sich zumindest noch nicht ganz aufgegeben. Somit ist das Bad meine kleinste Baustelle

Solcher Kniffe ungeachtet, möchte ich mich in meiner Wohnung gerne wieder erkennen. Niemals könnte ich ein Bild aufhängen oder eine Wand streichen ohne das drohende Verhör der Gäste voller Stolz zu überstehen. Bisher hat es für mich gereicht die vorhandene Stellfläche mit den Dingen auszufüllen, die meine Interessen so mitbringen. Ein Sofa zum liegen und mehrere Regale gefüllt mit Büchern, Cds und Platten. Alles Dinge, die unarchiviert, außerhalb jeglicher Stellwände ungenierte Besetzermentalität ausstrahlen würden. Der Fußboden wird weiterhin als Möbelstück vollkommen unterschätzt. Niemand möchte sein Gedöns zur Bückware dekretieren. Dabei suggeriert das entfesselte Bereitstellen jeglicher Inspirationsquellen auf dem Fußboden soviel mehr Lebendigkeit und Ernsthaftigkeit als es jedes Regal bieten kann. Bedauernswerterweise wird solches Verhalten prinzipiell als Unordnung aufgefasst. Wenn es wenigstens massive, deckenhohe Schränke wären, die jeden der davor steht überragen und von ganzen Lebensabschnitten erzählen. Bei mir stehen halt nur schäbige Regale, wobei ich Rafael Horzon den Erfolg damit gönne.

Wenn ich bei jemanden zu besuch bin, in meinem Alter bedeutet das häufig in der gemeinsamen Wohnung eines langweiligen Paares, schaue ich mich zuerst in den Regalen um. Vorausgesetzt ich kann auf den ersten Blick etwas Interessantes ausmachen. Regale stehen und hängen grundsätzlich erstmal in jeder Wohnung. In ihnen erkennt man schnell Interessen, Urlaubsziele, ob nun bereist oder nicht, Studienrichtungen oder eine bewegte Jungend, ob nun gelebt oder nicht. Völlig Zweckentfremdet sind Regale, die einzig Dekorationszwecken dienen. Solche Regale sind dann meist „angebracht“. Sie werden voller Vertrauen in das eigene handwerkliche Geschick über den Fernseher gedübelt, als ob das Überwinden der Schwerkraft Teil der Dekoration sei. Wie oft ich mich schon unbeliebt gemacht habe, weil ich die Buch- oder Albumtitel studieren wollte, die im angebrachten Regal über dem Flachbildfernseher schweben. Ich war gezwungen mich vorsichtig nach vorne zu beugen um bloß nicht mit den Knien oder Restunterkörper an den wackligen Bildschirm zu kommen. Ganz davon zu schweigen, dass der Fernseher lief und ich im Weg Stand. „Ist dein Vadda Glaser?“

Mein eigener Anspruch soll endlich über das stilvoll gefüllte Regal hinausgehen. Ich will Wände, die mir, wenn ich sie aus einer herbei gelangweilten Isoliertheit heraus anstarre, gefallen. Ich will auf etwas schauen, das mich zufrieden stellt und gleichzeitig schreit: hier wohnt er, der Neue. Was auch immer. Bisher verdiente ich mein Geld mit der Umsetzung von Ideen anderer. Dementsprechend fällt es mir schwer für die Umsetzung meiner eigenen Ideen Geld auszugeben. Aber das wird, man möchte ja auch mal den Besuch rumführen und dabei was erzählen können.

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