„36 Grad und es wird noch heißer“ 2Raumwohnung
„Scheiß Maloche. Ich wünschte, ich hät` ne Zeitmaschine wie der Typ in Zurück in die Zukunft, dann würde es Knall machen und es wäre Freitag.“
Tom Gerhardt in Voll Normal
Vor Wochen wurde ich gefragt, ob ich Zeit und Lust hätte mir ein wenig Geld nebenher zu verdienen. Nebenher ist gut, überhaupt mal Geld verdienen wäre schon super. Es war die Rede von „einwenig schaufeln“. So ein Bauer will eine Güllegrube ausheben und braucht Leute die mit anpacken. Ich war sofort dabei. Das bisschen schaufeln und dazu noch Muskeln gratis. Sechs Euro die Stunde. Montag den 4. Juni wurde ich angerufen, Dienstag ging es dann los.
Nennt mich ruhig einen verweichlichten Studenten, aber…
Dienstag, 5. Juni
Um 9 Uhr sollte ich an der Baustelle sein. Es wird heute heiß werden sagen die „gute Laune Spacken“ aus dem Radio. Die abgelegene Baustelle ist eine 40 x 40 m große Sandkiste mit einem Schnurgerüst und viel Acker drum herum. Anstatt eines Bauern, sehe ich zwei Arbeiter in einem Kleinbus, mit ostdeutschem Kennzeichen, sitzen. Das erste was der Chef der beiden, nennen wir sie Röhrich und Eckhart, zu mir sagt ist: „Wenn einer fragt, dann sagst du, du hast schon immer für mich gearbeitet und hast voll den Plan von dem was wir hier machen.“
Wir verlegen ein Rohrsystem für den Gülleabscheider. Den Zeitpunkt, zu sagen, dass ich Bauingenieurwesen studiere und voll den Plan von dem habe was wir hier machen, habe ich jetzt verpasst. Röhrich liest den Plan falsch, er rechnet mit den falschen Zahlen und stellt das Nivelliergerät falsch ein. Ich mache es für ihn. Weiß der eigentlich was Ingenieurstunden kosten? Mehr als sechs Euro jeden Falls!
Röhrich: „Den Bagger noch gut einen Meter weiter zurücksetzen.“
Zehn Zentimeter später
Röhrich: „Stopp!“
Ich kriege eine Schaufel in meine gepflegten Studentenhände und darf die Schächte ausgraben. Eckhart baggert vor mir weg und ich bringe den Schacht auf die angedachte Höhe. „Plan machen“, nennt Röhrich das. Danach kommen die KG Rohre in die Gräben und werden zugeschüttet. Röhrich bohrt Löcher, Eckhart baggert und radladert und ich schaufele mich tot.
Wieso denkt man beim Schaufeln immer zuerst an Sand? Ich muss hier Lehm stemmen und wie das Zeug stinkt, ist da auch noch Klärschlamm mit bei. Ich bin der einzige, der richtig schuftet.
Es wurde wirklich heiß! 30 Grad, kein Schatten. Hätte ich mal mehr als 1,5 Liter Wasser mitgebracht. Mein Nacken ist verbrannt. Um 19 Uhr ist Feierabend. Mir tut alles weh, meine Hände schlagen Blasen und wir haben kaum etwas geschafft. Morgen geht es bereits um 7 Uhr 30 los und dann bis 21 Uhr. 13 Stunden. Wer auch immer gesagt hat: die Stunden bringen das Geld, soll die Schnauze halten.
Mittwoch, 6. Juni
Mir kommt es vor, als würde ich zum ersten Mal in meinem Leben die Zahlen fünf : drei null in dieser Reihenfolge auf meinem CD-Wecker lesen.
Ich spüre meine Hände nicht mehr, die Hitze ist unerträglich. Gefühlte 100 Grad. Röhrich arbeitet mittlerweile Oberkörper frei. Jetzt verstehe ich auch, warum er nie trinkt oder isst. Er hat einen riesigen Wassertank anstatt eines Bauches.
Eckhart streckt, bei allem was er macht, egal ob er sich dabei konzentriert oder nicht, die Zunge raus. Sieht das scheiße aus!
Heute fällt meine Mittagspause aus. Ich komme einfach nicht dazu.
Moment mal. Die beiden sind doch Ossis, also auf Montage hier. Die arbeiten Akkord! Ach du heiliger Schiss. Kein Wunder warum das hier so stressig und anstrengend ist. In was bin ich da hineingeraten? Hier soll ein Mensch gebrochen werden.
Ich bekomme eine Visitenkarte von Röhrich in die Hand gedrückt mit den Worten: „Hier, lerne das auswendig. Eben ist schon ein Polizeiauto vorbeigefahren!“ Oh Mann, für sechs Euro die Stunde... Endlich wird meine Kompetenz hinterfragt. Ich gebe zu, dass ich in der Baubranche tätig bin. Zumindest theoretisch. Chef ist froh und überträgt mir sämtliche Verantwortung. Dankeschön.
Eckhart: „Ich weiß gar nicht, kann ich dir ein Bier anbieten?“
Ich: „Ne danke, dann falle ich tot um.“
Eckhart: „Gut, es ist nämlich auch keins mehr da.“
Ich latsche den ganzen Tag durch den Sand, die Sonne hat meine Ellbogen verbrannt und der Rücken macht knirschende Geräusche. Morgen komme ich nicht wieder. Ich gebe auf. Sechs Euro die Stunde! Hierfür! Schwarz! Ohne mich. Mein Entschluss stand gerade fest, da sagt Röhrich mir, dass morgen noch ein zweiter Idiot dazu kommt und mir hilft. Ich müsste ihn aber abholen, weil er kein Auto hat. Endlich ist Feierabend. Morgen werde ich doch wiederkommen. Zum Teil auch aus Mitleid. Ich rede mir ein, zu zweit wird es sicherlich leichter.
Donnerstag, 7. Juni
Ich muss noch früher aufstehen, weil sich mein Weg zur Arbeit jetzt verdreifacht hat. Der neue Sklave ist genau so naiv wie ich es war. Ich lasse ihm seine Illusionen vom entspannten Sand schaufeln. Soll er sich sein eigenes Bild machen. Meine Arbeitsmoral ist gebrochen, der Schalter für meine Energie ist auf „Off“ gestellt. Der einzige der noch kann und sogar noch eine Schippe drauflegt, ist die Sonne. Drückend! An was denkt man, während einer stupiden Scheißarbeit, bei der du von wabernder Luft umgeben bist? Ich habe mir ausgemalt, wie meine verbrannte Haut sich in die erhitzten KG Rohre einbrennt und an die lächelnden Gesichter derer, denen ich noch Geld Schulde. Röhrich ist knallrot. Mr. Crabs. Mein neuer Mitarbeiter hat nach fünf Minuten keinen Bock mehr. Er telefoniert und schreibt SMS. Würde ich auch gerne, traue mich aber nicht. Außerdem: kein Handy. Trotzdem bin ich froh über seine Anwesenheit. Ohne ihn könnte ich nicht laut jammern und mich beschweren wie heiß es ist. Das hilft.
Ich: „können wir mal Mittagspause machen?“
Röhrich: „Habt ihr euch das überhaupt verdient?“
Ich: „Wo kommt den sonst der Hunger her? Meister“
Röhrich: „Ne, jetzt mal ernsthaft!“
Meine Ohren sind verbrannt. Ich werde monatelang nichts mehr aus dem Ofen essen können, zu schwerwiegend ist das Trauma. Feierabend. Nur noch morgen und dann hat mich die Freiheit wieder. Wer sich nicht bewegt, der spürt seine Fesseln auch nicht. Ich darf meine Morgen ablegen! Der letzte Tag ist der Schönste.
Freitag, 8. Juni
Ich mache zwei gravierende Fehler, mal abgesehen davon, dass das hier alles schon ein einziger riesiger Fehler ist. Erstens bringe ich mir süßen Ice-Tea anstatt Wasser mit und kriege nur noch mehr Durst davon, plus Pappmaul. Zweitens verlege ich das letzte Rohr fünf Zentimeter zu hoch. Ich vertusche es geschickt und hoffe, es merkt Niemand. Niemals. Hoffentlich liest Röhrich nie diesen Blog! Noch drei Stunden und ich bin im Auto auf dem Weg ins Wochenende. Tatsächlich komme ich mit meinem Pfusch durch. Ich bin schon etwas stolz auf mich. Meine Professoren würden mich verprügeln. Hoffentlich lesen die nie diesen Blog!
Das meiste Arbeitsmaterial wie zum Beispiel Schaufeln, Nivellierstangen, Bagger, Radlader und den dazu gehörigen Treibstoff stellt der Bauer für den wir das hier machen. Nachdem wir aufgeräumt haben, schüttet Röhrich den Diesel für den Bagger in sein Auto. Ich darf den viel zu kleinen Trichter halten. Einiges von dem Diesel läuft über meine Hände. Kurz überlege ich, ob ich die Hände anzünden sollte um meine Wunden zu schließen. Dann könnte ich zu Rambo Kumpel sagen. Zu Reinhold Messner kann ich jetzt schon Kumpel sagen. Gobi kann kaum schlimmer gewesen sein. Händewaschen ist nämlich nicht. Habe ich schon erwähnt, dass es auf der gesamten Baustelle keinen einzigen Tropfen Wasser gibt? Es gibt keinen einzigen Tropfen Wasser auf dieser verdammten Baustelle!
Ich: „Gehören die Fluchtstangen Dir oder dem Bauern?“
Röhrich: „Dem Bauern, aber pack trotzdem mal ein.“
Feierabend. Mit offenen Händen gehe ich zum Chef. Geld regiert die Welt, brülle ich. 44 Stunden in der glühenden Hitze. 6 x 44, das sind… 264 Euro, ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein, der schon seit längerem mein Leben ist. Kein Verhältnis zu den Folgeschäden dieser Knochenarbeit. Leider gibt es heute noch kein Geld. Erst Dienstag soll es soweit sein.
Ich werde hier doch gerade beschissen! Aber was soll ich machen? Ich habe ja noch seine Karte und die fünf Zentimeter Pfusch in der Hinterhand.
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