Samstag, 25. Januar 2014

Rentnerglück

"When I step up in the place
ay yo I step correct
Woo-Hah
got you all in check"
Busta Rhymes

Unsere Generation, also meine Generation, ich weiß ja nicht wer sich hier angesprochen fühlt, also sagen wir, oder ich sage das einfach mal selber, diejenigen, die in den 80ern geboren wurden, die kriegen ja keine Rente mehr! Das liegt zum einen daran, dass die Kinder mit minderwertigen Zeichentrick Serien aufwachsen, zum anderen liegt es an der Wirtschaft und daran, dass sich niemand mehr mit seinem Schicksal abfinden will und einfach immer weitermacht. Da kann man die Grünphasen der Fußgängerampeln noch so kurz halten, die Rentner werden immer mehr. Viele Grundschullehrer schulen bereits auf Altenpfleger um. Dahin wandert der Markt. Ihr merkt, mit der Wirtschaft kenne ich mich nicht aus, aber wenn man den Ossi bereits 25 Jahre mit durchziehen muss, dann wird auch in Zukunft nichts für die Rente übrig bleiben.Oder wie oder was oder was ist?

Mir ist das eh alles scheiß egal. Diese Sorge um die Rente, du musst gut verdienen, denk doch mal an später und weißte noch früher? Da war alles besser, selbst die Zukunft und so weiter. Davon lasse ich mir doch nicht die Freude auf das gehobene Alter versauen. 
Die Rentner, mit denen ich in Kontakt komme, sind so sehr von ihrer jahrelangen Knechte beansprucht worden, die wissen gar nichts mit ihrer vielen Freizeit anzufangen. Menschen um die 60 sind tickende Zeitbomben. Die können sich zum langen Feierabend des Lebens hin in einem gewaltigen Anfall von Aktionismus entladen. Denen fällt plötzlich auf, dass das Haus eine leichte Schräglage aufweist oder dass sich ein Helikopterlandeplatz im Garten ganz gut machen würde, alleine schon für den Notfall.

Das Rentnerehepaar, das bei mir unten im Haus wohnt, lebt stattdessen ihr Pflichtbewußtsein gegenüber Recht und Ordnung aus. Das ist wohl gemeint, wenn die Polizei von "aufmerksamen Nachbarn" spricht. Falls bei uns einer in das Haus einbricht, bekommt die Polizei mit Sicherheit ein sehr detailliertes Bild des Ablaufes beschrieben, mit Uhrzeit und einer Begründung weshalb man ausgerechnet zu dieser Uhrzeit am Fenster „vorbeikam“. Die Täterbeschreibung würde weniger detailiert ausfallen - Ein jungendlicher Lausejunge war das, mit einem unmöglichem Haarschnitt, nicht gegrüßt, ach, gar nichts hat der!

Wenn ich auf den Hof einrolle, schauen die Rentner zu erst auf die Uhr! An der Haustür werde ich dann abgefangen und nach der sozialen Lage befragt, woraufhin natürlich direkt ein TäterCharakterprofil erstellt wird.

„Wissen Sie, wem das Auto gehört?“
„Nein.“
„Da ist seit gestern der TÜV abgelaufen, das darf gar nicht mehr an der Straße stehen, wenn da was passiert! Sie kommen in Deubels Köke.“
„Ich weiß wirklich nicht wem das Auto gehört. Zudem glaube ich, dass es egal ist, ob das Auto TÜV hat oder nicht.“
„Aber Sie waren das doch, der letztens hier so auf dem Hof geparkt hat?!“
„Nee, aber ich habe das Auto auch gesehen. Falls Sie das beruhigt.“
„Ich kam da gerade so durch mit meiner Gehhilfe.“
„Ja, das stand wirklich etwas ungünstig, da muss man dann etwas langsamer dran vorbei, dann geht das schon.“
„Unmöglich ist so was.“
Usw.

"So was" kommt dabei raus, wenn man vor dem Ruhestand wichtige Dinge vernachlässigt hat. Hobbys und Interessen zum Beispiel. Und damit meine ich keine generierten Modeerscheinungen, sondern etwas, das vorwiegend nach innen funktioniert, auf das man zurückgreifen kann, falls die Rente letztendlich das ganz große Angeber-Facebook-Profil nun tatsächlich nicht hergeben sollte. Mit sich selbst gut auszukommen ist nicht so schwierig und dem Frieden kann man ruhig mal trauen. Außerdem wird es doch möglich sein, die eine oder andere Leidenschaft bis ins hohe Alter aufrecht zu erhalten. Und einige Freunde sind hoffentlich ebenfalls noch da. Auch mal an später denken. Jetzt schon. Liebe Sparkasse.

Natürlich gibt es unter den Rentnern welche, die es richtig machen. Oder gemacht haben. Vor dem Ruhestand. Ich saß letztens im Zug, im richtigen nebenbei bemerkt, auf diese logistische Meisterleistung komme ich irgendwann mal zurück, jedenfalls setzte ich mich auf den ersten freien Sitzplatz, neben einer alten Dame. Ich bin allgemein versucht nicht zu fragen, ob dieser Platz noch frei ist, sieht man ja, aber viele fühlen sich bestohlen und/oder bedrängt, wenn man nicht korrekt nachfragt, deshalb frage ich halt trotzdem. Die Bahn ist schließlich für viele alterslose Menschen, die es sich vorgenommen haben irgendwann in ihrem wohlverdienten Ruhestand ein überdimensioniertes, rotes Leinentuch von ihrem abbezahlten Boot runterzuzerren, ein „Arbeitsplatz“. 
Bei der alten Dame brauchte ich nicht zu fragen ob der Platz noch frei sei, die hatte sofort geschnallt, dass jemand, der gerade eingestiegen ist, am liebsten sitzen möchte, besonders dann, wenn derjenige 15 Minuten auf den verspäteten Zug warten musste. Ich setzte mir Kopfhörer auf und holte das Buch aus dem Rucksack. Möglichst so, dass die Dame auf dem Fensterplatz nicht den Titel erkennen oder mir ins Buch luschern konnte. So interessant sind das Buch oder ich nicht, dass irgendwer eine Diskussion diesbezüglich anstrengen würde, dennoch habe ich eine Heidenangst mich irgendwann mal für die Zeilen von Charles Bukowskis rechtfertigen zu müssen. Ich verließ mich darauf, dass die Omi davon ausging, ich sei ein Techno hörender, in der Woche latentaggressiver Nichtsnutz, der sich durch die fünf Seiten einer Paul Kalkbrenner Biografie quält. Der Zug Stand und ich hatte meine Ruhe.

Nach drei Liedern stupste mich die Omi an. Ich schaute hoch, schob die rechte Muschel des Kopfhörers beiseite und musste direkt grinsen. Die alte Dame klatschte in die Hände und meinte: „Es geht endlich los. Wir fahren! Was die Bahn immer für Anstalten macht!?“
Ich versuchte einen Witz: „Ich verstehe nicht, wieso die Bahn überhaupt noch Minutenzeiger auf ihren Uhren hat, der Stundenzeiger würde doch völlig ausreichen.“
Die Dame stimmte mir zu und freute sich in mir einen Verbündeten gefunden zu haben.
„Warum musste ich nur an so einen Blödmann wie dich geraten? Weil du nicht wählerisch bist.“, las ich gerade bei Bukowski, da stupste mich die Dame wieder an.
 „Der junge Mann von schräg gegenüber redet seit Hannover in einer Tour durch und ich dachte,  Mädchen würden viel tratschen.“ Schräg gegenüber saßen drei Jugendliche und tranken Jever und Pepsi Cola. Drei sind eine Party, dachte ich. Der eine mit dem Hurricane 2011 Pullover tratschte tatsächlich in eins durch. Wir lauschten etwas dem Monolog, dann wurde es mir zu peinlich, also zu persönlich, ich grinste rüber und schüttelte den Kopf, die Dame lachte und schüttelte ebenfalls den Kopf. In Neustadt verabschiedete sie sich, wünschte mir eine gute Weiterfahrt und verließ trotz Verspätung gut gelaunt den Zug. Die konnte dem Ganzen und vermutlich auch dem großen Ganzen mehr abgewinnen als ich, genau das meinte ich weiter oben.
Zudem ist es schön zu wissen, dass wirklich was rüberkommen kann, nachdem man angestupst wurde.

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