Mittwoch, 22. Oktober 2008

Teilzeit Part I - Welcome to the Maschine

"Welcome my son, welcome to the machine.
Where have you been? " Pink Floyd

Nach dem Fachabitur wurde ich zur Musterung geladen. Der Unterschied zu meinen Altersgenossen war, dass ich insgesamt dreimal zu den albernen Tauglichkeitstests aufgefordert wurde. Das Kreiswehrersatzamt konnte sich damals nicht entscheiden, ob sie mir meine Untauglichkeit für den Wehrdient abkaufen sollten oder nicht. Diejenigen, die sich am meisten wehren, ziehen sie am liebsten ein, mit diesen Worten beglückwünschte mich der Beamte zur meiner Ausmusterung. Die Einschreibefrist für das Sommersemester war bereits verstrichen und so verlor ich ein halbes Jahr.

Zeit zum Malochen, wie meine Eltern meinten. Also meldete ich mich bei einer Teilzeitfirma an. Die nehmen jeden! Und so war es dann ja auch. Ich war ab sofort Produktionshelfer. Die Klamotten (Blaumann und Sicherheitsschuhe) bekam ich von der Teilzeitfirma gestellt. Bereits bei der Anprobe wusste ich, dass ich in dem Laden nicht lange bleiben werde. Mein erster Arbeitstag war bei einer Firma, die die Innenverkleidung für den VW Golf herstellt. Ich wurde freundlich von einem Schlipsträger empfangen und schnell um das Hauptgebäude, Richtung Werkhallen geführt. Er fragte mich, was ich denn noch so in meinem Leben vorhätte. Ich erzählte von meinen Studienplänen, woraufhin er trocken antwortete: „Schön wenn man Träume hat“. Es klang so, als ob er das schon öfters gehört hätte, womöglich würde ich die Urheber dieses Satzes gleich persönlich kennen lernen. Er öffnete die schwere Brandschutztür, auf der von innen groß „Notausgang“ stand, und meinte, mich würde ein gewisser Herr Demetri einweisen. In der Halle war es lauter als der 2. Weltkrieg. Ich bummelte durch die riesigen Hallen und fand insgesamt fünf Demetris. Keiner wusste irgendetwas. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde sich mir jemand gewahr und stellte mich an ein Fließband am Ende der größten Halle ab. Ich war dafür zuständig die ausgestanzten Kunststoffverkleidungen vom Fließband auf einen Rollwagen zu packen. Mit System. Links und rechts von mir standen zwei Russen und lachten. Über mich. Da war ich mir sicher. Ich vermutete, dass die Maschine zu schnell eingestellt war. Ein Ritual, das an den Frischlingen praktiziert wird. Frühstückspause.

Zwischen Hallenwand und Fluchtzaun gab es einen schmalen Grünstreifen, der als Pausenraum gedacht war. Insgesamt zwei Gartenstühle für acht Personen. Ich nutzte die Gelegenheit, um mir meine neuen Kollegen mal genauer anzuschauen. Selbst Stevie Wonder hätte bemerkt warum wir hier waren. Wir waren Versehrte. Von einem habe ich erfahren, dass er einen schweren Motorradunfall hatte und kurz nachdem er im Krankenhaus aufgewacht war, sich hier wieder fand. Ansonsten drehten sich alle Gespräche um das brennen von Filmen. Die Spätschicht ging weiter. Es war alles so trist. Selbst der für uns vorgesehene Notausgang lag in fünf Meter Höhe und war somit unerreichbar. Nach meiner groben Einschätzung gab es hier noch nicht einmal genug Arbeiter, die erst gegen die Hallenwand hätten rennen müssen, damit wenigsten einer von uns lebend aus dieser Todesfalle hätte entkommen können. Acht Stunden später, endlich endlich war die Schicht vorbei. Man verliert bei Lärm und monotoner Arbeit vollkommen sein Zeitgefühl. Die Rückfahrt war die pure Erleichterung. Selten bin ich so gerne Auto gefahren.

Der zweite Tag war bereits ein Freitag, wieder Spätschicht. Dieses Mal habe ich alleine in die Halle gefunden und schaute mich genauer um. Ich suchte einen Ohropax Spender oder zumindest eine Kiste wo ich mein Gehirn hineinpacken konnte. Highlight des Tages war, dass ich erstmals mit einer „Ameise“ fahren durfte. Natürlich nur solange, bis mein Fahrstiel lauter als der durchschnittliche Maschinenlärm wurde. Ich eckte überall an. Das Resultat war die Verbannung zurück ans Fließband. Ich weiß noch, wie ich in der Pause mich mit den Worten „ich wünschte ich wäre tot“ vom Fußballtraining abmeldete. Die Schicht ging aufgrund des nahenden Wochenendes schneller von der Hand.
Als ich vor dem Drehkreuz zu den Parkplätzen stand, ließ dieses sich nicht drehen. Es war Winter und bereits dunkel. Kurz, ich erkannte das Problem nicht. Aus Verzweiflung kletterte ich über den Zaun. Oben angelangt, kam die Nachtschichttruppe mir entgegen und ging geradewegs durch das Drehkreuz unter mir. Auf dem Parkplatz fragte mich ein Nachzügler der Nachtschicht, ob ich meine Karte verloren hätte. Was für eine Karte? Die haben mir nie eine Karte gegeben. Wie sich herausstellte, war dies auch nicht nötig. Montag sollte es woanders hingehen. Die beiden Tage waren nur dafür da, um mich gefügig zu machen. Behaupte ich.

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