Mittwoch, 15. Juli 2009

Das Handwerk des Alleinseins

„Allein Allein“ Polarkreis 18

Wissenschaftler haben herausgefunden… Halt! Wissenschaftler irgendeiner renommierten Universität haben herausgefunden, dass der durchschnittliche Jugendliche 50 Freunde hat und davon sind 24 rein virtuell. Es besteht also kein Kontakt außerhalb des Internets mit Ihnen. So gesehen ist Sociophobie für mich ein Fremdwort. Daran gemessen, habe ich einen überdurchschnittlich großen Freundeskreis und zusätzlich so etwas, was man einen erweiterten Bekanntenkreis nennt. Sie kennen mich, aber ich kenne sie nicht.

Bei meinem Umzug vom platten Land in die kleine Großstadt Bremen, bringen mir die vielen Bekannten und Freunde erstmal nichts. Unterm Strich ist man allein. Neue Beziehungsfelder (habe ich das Wort endlich mal untergebracht!) schafft man sich schnell, indem man hier studiert oder in einer WG lebt und die Bekannten seiner Mitbewohner vereinnahmt. Wenn man aber arbeitet und alleine wohnt, hat man nur die Kollegen und möchte man die in seiner Freizeit sehen? Klares Nein. Ohne dass ich es darauf anlege, ergibt es sich, dass ich die 45 Minuten Zugfahrt in die alte Heimat fast jedes Wochenende auf mich nehme. Das hinterlässt natürlich einen komplett falschen Eindruck. Die Anlässe sind immer gegeben. Diplomparty, Scheibenschießen, 40. Geburtstag, wieder eine Diplomparty und dutzende Einladungen zu irgendetwas. Wie gesagt, so gesehen habe ich einen überdurchschnittlich großen Freundeskreis.


Jetzt fühlt man sich dazu genötigt in der neuen Stadt ebenfalls Fuß zu fassen. Das Gefühl habe ich nicht, aber der Gedanke ist da. Es wäre doch normal sich anzubiedern. Ich denke, es ist nicht normal sich anzubiedern. Ich denke, es ist normal alleine mit sich gut zurecht zukommen. Ohne ekelerregend bemitleidenswert klingen zu wollen, ist es auch gar nicht möglich Kontakte oder Freunde aus dem Stehgreif zu finden. Man ist noch nicht einmal irgendwo „der Neue“. Es wird als soziale Inkompetenz angesehen, wenn man sich auf Partys nicht an andere ranmacht und sich und die damit verbundene Geselligkeit anpreist. Solche Menschen sind doch furchtbar.

Vor ein paar Wochen lag ich auf einer Liege und wartete auf den Physiotherapeuten. Die Behandlungszimmer waren nur durch einen Vorhang getrennt und ich konnte das Gespräch von nebenan mithören. Eine ältere Dame erzählte davon, dass man in Bremen (oder war es Deutschland allgemein?) Niemanden kennenlernen würde. Alle wären so reserviert. Der Therapeut bestätigte dies und gab ein Beispiel aus dem Kroatienurlaub zum Besten, das das genaue Gegenteil aufzeigte.

Ich dachte, yo, stimmt. Aber jammern und hinterherlaufen kann unmöglich die Alternative sein. Man suggeriert mit dem Alleinsein auch immer Einsamkeit und wenn man das tut, ist sie auch da. Man braucht nicht zu lernen damit umzugehen, man muss sich nur bewusst werden, dass man nicht einsam ist. Man kommt alleine und man geht auch wieder alleine, dazwischen ist man alleine. Was nach Monty Python klingt, ist nur zu wahr.


Die Kunst des alleine Zurechtkommens


"So sitzt er Nacht für Nacht mit Zettel und Stift allein in seinem Keller und bastelt Bomben nur für sich" Doppelkopf

In den vielen Büchern der verschrienen Popliteratur ist der Protagonist immer auf sich gestellt und meistert dies souverän mit allen Tiefen und Höhen. Es wechseln zwar die Freundinnen und der Kumpel, aber alleine ist er ständig. Und er macht weiter und sammelt Eindrücke. Es geht ja auch. Diese Freundeskreise mit ihren Rumkumpeleien wirken doch oft, aus der dritten Perspektive gesehen, ziemlich verblödet und wie Stillstand. So wie es auf mich wirkt, empfinde ich das auch, als angenehme Pause. Etwas Stillstand bevor es wieder weiter geht mit dem Alltag.

Alleine funktioniere ich viel besser. Im Dialog gebe ich mir überhaupt keine Mühe mehr, reinste Gaghascherei, rumspinnen, unterhaltsame Lügen erzählen, besser wissen, die pure Verdummung, total angenehm eben.
Man kann sich ja denken woher dieser Drang nach Gemeinsamkeit kommt. Fernsehen um die Mittagszeit, Werbung, Zeitschriften… usw. *

Viele haben bereits die Notwendigkeit, alleine mit sich klar zu kommen, verlernt. Schon diese Grußmitteilungen. Sie werden meist gar nicht mehr ausformuliert, stattdessen wird nur noch ein triviales hdgdl ins Tastenfeld gehauen, auf allen Plattformen der digitalen Kommunikation.

Ich denke oft an andere, besonders an die, die mir wichtig sind und ich könnte sie das auch wissen lassen und Grüße an Pinnwände oder Telefonnummern schicken, aber ich lasse es, weil ich nicht weiß, wie es dann weiterginge oder wie man darauf reagieren sollte. Ich schätze mal gar nicht. Vielleicht sind die Leute mir auch wichtig, weil sie wissen, dass es auch ohne diese ganzen Bekennungen funktioniert.

Alleine ins Kino gehen, muss man üben. Der Film bleibt derselbe, man nimmt ihn nur anders oder überhaupt wahr. Für viele wirkt das armselig, aber der Satz: „Ich wollte heute eigentlich ins Kino (Freibad, Café, Stadion, Restaurant, Ikea, Konzert), leider wurde daraus nichts, weil Niemand mit wollte.“ zeugt auch nicht gerade von Eleganz, Flexibilität und Unabhängigkeit.
Alleine in den Urlaub ist die Königsdisziplin und wird deshalb auch Reisen genannt. Da muss man hin, da sind die Erfahrungen, da ist das Bewusstsein. Mit den Freunden, ist es nur noch Urlaub.

Vollidioten, die eine Lücke im Lebenslauf mit „Selbstfindungsphase“ erklären, sollten darüber mal nachdenken, dafür bräuchten sie noch nicht einmal verreisen.

Dieser romantische Gedanke des Einzelgängers, der alleine in seiner Mansarde Wohnung vor dem PC hockt und einer Arbeit nachgeht, die erstmal Niemanden etwas angeht und später jeden erreicht, ist etwas, das einem immer weitermachen lässt. Nicht im Sinne von durchhalten, sondern im Sinne von: es geht weiter.

So, das war der Text. Ich treffe jetzt noch Freunde zum Grillen am Werdersee.


* Zum Verständnis, es geht hier nicht um die Freundin oder den Freund die/den man meiden soll, sondern um die Gesellschaftssucht im Allgemeinen. Paare, die länger zusammen sind, kennen das sicherlich auch. Irgendwann kommt das Thema selbst in einer tollen Beziehung wieder auf. Schneller als man denkt sogar. Letztens habe ich den Begriff Alibifreundin gehört, ich dachte an Schwule, gemeint war aber: lieber mit irgendjemanden zusammen, als alleine.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen