Dienstag, 24. April 2007

Drunk in Public

„Und wenn Du noch so eine Miesmuschel bist und Kontrolle für Dich nicht mehr als Dein Schließmuskel ist, dann beweg Dein Kreuz und roll mal ne Jolle, trink ein Bier und verlier die volle Kontrolle“ Dendemann

Jeder hat in seinem Bekanntenkreis einen, der besonders auffällt. Einen, von dem man nie genau das Alter sagen kann, obwohl man jedes Jahr auf seinem Geburtstag eine Kiste Bier austrinkt. Ist er jetzt schon 40 oder gerade erst 30 geworden? Diese Menschen fallen auf, weil sie sich, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, vollaufen lassen. Gelegenheiten wie Schützenfeste, Erntefeste, Freitage, Samstage, Sonntage, gutes Wetter, schlechtes Wetter, der HSV hat gewonnen, andere Ehrentage, Osterfeuer usw. Gründe gibt es genug und wenn nicht, auch nicht schlimm. Man will diese Menschen nicht missen, sie lassen den eigenen Alkoholkonsum weniger schlimm erscheinen und erinnern einen daran, dass es Grenzen gibt, die man besser nicht überschreiten sollte. Solche Personen haben Spitznamen, keiner weiß mehr wie sie dazu kamen, sie selber am wenigsten und beim Klang ihres richtigem Namen fragen alle: wer?

Nach außen hin wirken sie unheimlich souverän, Wohnung, manchmal sogar Eigenheim, VW, einen Job bei einer größeren Handelskette, erschreckend dünn oder dicke Plauze, stets das Hemd in der Hose, engagierte Vereinsmitglieder, Steuerklasse 1.
Aber nichts davon bleibt an den besagten Wochenenden.
Irgendwann haben diese Leute dann für ein riesiges Repertoire an Anekdoten gesorgt, die die Zeit von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang locker füllen.
Die Geschichten sind regional häufig etwas anders, aber der Kern bleibt der gleiche:
fast etwas abgefackelt, etwas abgefackelt, unmenschlich viel gekotzt, abenteuerliche Krankenhausaufenthalte, Ausnüchterungszelle, größte Massenschlägerei ever angezettelt, Sachschaden, Exhibitionismus oder ähnliches. Sie haben außerdem einen seltsamen Deal mit der Schwerkraft geschlossen, nach zehn Bier kennen sie sich aneinander nicht mehr.
Mit Drogen haben sie nichts am Hut. Sie bleiben dem Bier treu, zu Korn und Whiskey sagen sie Schnaps und „bleib mir weg mit so was“. Es sind keine Alkoholiker und sie tauchen auch in keiner Trinkerstatistik auf. Es sind eben Bekannte.

Ich kenne viele solcher Typen. Ich komme vom Dorf. Was uns trennt sind 20 Jahre und einige Konfessionsgrößen nach oben oder nach unten hin. Anekdoten kenne ich viele. Meine beiden Favoriten sind:

Jubiläums Scheibenschießen in Hannover. Alle aus Niedersachsen stammenden Schützenvereine wurden zu dem angeblich größten Schützenfest der Welt geladen. Anlass war das Jubiläumsschützenfest 2004. Der Schützenverein aus meinem Dorf war ebenfalls eingeladen. Um die circa einstündige Zugfahrt zu überbrücken wurden im Zug bereits reichlich Dosen Bier geleert. Es gab noch keinen Dosenpfand, also ab aus dem Fenster damit. In Hannover angekommen wurde sich gleich hinten in die große „Militärparade“ durch die Innenstadt Hannovers eingereiht. Die Zehnbiergrenze war bei unserem Freund ohne weiteres überschritten. Er taumelte, aber er fiel nicht. Sich auf seine Füße konzentrierend, lief er die gesamte Strecke trinkend mit. Es war ein heißer Tag. Er lallte, stolperte durch die Reihen und hielt sich an seinem Holzgewehr fest.
In der Abschlussrede des Schützenkönigs, der Chef vom Ganzen, wurde unser kleiner Dorfverein besonders für seine Behindertenintegration namentlich gelobt. Saufen ist das Handwerk, aber für mongoloide, statt für besoffen gehalten zu werden, ist die Kunst.

An der anderen Geschichte bin ich leider beteiligt. Nach unserem spärlich besuchten Osterfeuer fand ich einen dieser Kandidaten K.O. in der Ecke liegend. Ich hatte denselben Nachhauseweg wie er. Dazu war ich eh der einzige der noch gehen konnte. Also verpasste ich ihm ein, zwei Backpfeifen und hoffte insgeheim, er gäbe mir einen Grund den Notarzt zu rufen. Der Teil mit den Backpfeifen machte noch Spaß, bis er sich rührte. Erschreckend routiniert richtete er sich auf und hielt sich an mir fest. Als ich meinen Arm um ihn legte, bemerkte ich, dass er sich in die Hosen gepinkelt hat. Es sind noch gefühlte zwei Kilometer bis zu seiner Wohnung, unmöglich ihn bis dahin auf Abstand haltend abzuliefern.

Ich hatte unverschämtes Glück. Ein junges Mädchen hielt mit ihrem roten Kleinwagen an. Auf dem Rücksitz hockte ein pferdgroßer Hund. Ein Pferdehund. Sie bot uns an mitzufahren. Ich überlegte kurz, ob ich einen Porno kannte, indem ein gut angezogener Typ, ein etwas moppeliges Mädchen, ein riesiger Hund und eine inkontinente Bierleiche vorkamen. Nope.
Ich schmiss ihn auf den Rücksitz zu Fury und stieg selber vorne ein. Ich redete dem Mädchen ins Gewissen, man dürfe so spät und überhaupt nie Anhalter mitnehmen und betete, dass sie den unangenehmen Uringestank nicht riechen würde.
Als wir die Wohnung erreichten, musste diese vollgeschiffte Legende noch die Treppen hoch. Anstrengend. Endlich oben angekommen, hatte ich mir ein Pils verdient und suchte die gesamte Wohnung nach Alkohol ab. Nichts, nicht mal Maggie im Küchenschrank. "Ey, wo haste denn dein Bier versteckt?" rief ich. Keine Antwort. Als ich im Türrahmen stand ,im Begriff zu gehen, hörte ich eine Stimme vom Sofa:

- Ey, sagste aber keinem!
- Ne, ich sage Niemanden, dass du dich eingeschifft hast. Schon wieder.
- Neeee, dass ich kein Bier im Haus habe!
- Auch das nicht!

Oh man, es ist eben alles relativ.

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