"Meep Meep" Der Roadrunner
Anfangs lief ich ohne Musik. Die Kopfhörerkabel sind zu
kurz, um von der Jogginghose bis zu den Ohren zu reichen. Vorausgesetzt die
Hose hat überhaupt Taschen. Für eine Trainingsjacke, so wie ich sie aktuell beim Laufen trage, war es vor ein paar Wochen noch zu warm. Von der Jackentasche aus reicht
das Kabel bis in die Ohren. Den Haustürschlüssel flechte ich nach wie vor in die Schnürsenkel. Die 100 Meter von meiner Wohnung bis zum Werdersee
gehe ich. Manchmal habe ich die Gelegenheit in die vorbeifahrende Bahn und somit
in die genervten Gesichter der Leute zu blicken. Nicht in ihre Richtung zu
müssen, motiviert mich zusätzlich. Zum Warmmachprogramm gehört die Strecke vom
Roten Kreuz Krankenhaus bis zur Brücke über den Werdersee. Bis hierhin stimmt
die Körperhaltung noch. Spaziergänger werden elegant umkurvt und die Zeit zwischen
Klingeln und dem Überholmanöver eines Fahrradfahrers vergeht so langsam, dass
ich mich oft besorgt umdrehe.
Das Brückengeländer bietet sich perfekt für die Dehnungsübungen
an. Leider ist an dieser Abzweigung auch am meisten los. Trinker nutzen die
Nähe zum Rewe Markt, Familien mit Kinderwagen streiten über die einzuschlagende
Richtung und Mädchen wechseln vom flachen Schuhwerk auf Skates. Die Trinker
stören nicht, die sind eher nett. Die Spaziergänger mit Kinderwagen verstehe
ich häufig nicht, die sind mir entsprechend egal. Nur den Mädchen auf den
Skates traue ich nicht, die sind mindesten acht bis zehn Zentimeter kleiner als
sie vorgeben zu sein.
Wie beim Laufen auch, kann man beim Dehnen viel verkehrt machen. Amateure legen ihre Sehnen anstatt die Hacken auf das Geländer und bringen
ihre Füße in eine unnatürliche, verdrehte Position. Dazu sollte man darauf
achten mindestens 30 Sekunden in einer leicht beanspruchenden Dehnhaltung zu verbringen.
In der Dehnphase laufen natürlich hoch motivierte, in Spandex gekleidete Jogger
an mir vorbei. Es gibt eindeutig einen Gruß unter entgegenkommenden Joggern. Eine
schlampig ausgeführte Handbewegung auf Hüfthöhe. Ich habe ihn nie erwidert.
Wenn es nach mir ginge, bestünde der Gruß aus einer sauber ausgeführten Clothesline.
Diese Familienväter in ihren semiprofessionellen Spandex Suits sind mir unheimlich. Die verbrennen bei ausdauernder Belastung sicherlich Zucker, vielleicht kommen sie sogar an das schwer zu
erreichende Fett, aber denen geht es doch niemals um die Endorphine. Über den
psychosomatischen Effekt beim Laufen hinauszukommen, ist sehr schwierig. Für mich ist das Gefühl "etwas getan zu haben" sowieso
der einzige ganzheitliche Ansatz. Die Annahme, man nehme ab indem man
regelmäßig ein paar Runden drehe, ist illusorisch. Die körperlichen Grenzen ausloten,
überschreiten und mich daraufhin bestätigt fühlen, mehr ist nicht drin.
Ich laufe nie ganz um den Werdersee, sondern immer nur bis zu
einem bestimmten Punkt und dann dieselbe Strecke wieder zurück. Mal das Knie,
mal der lädierte Rücken oder die übersäuerten Schienbeine, irgendetwas zwingt
mich immer zur Umkehr. Der Grund: Die andere Seite des Werdersees ist großflächiger und bietet
mehr Auslauf für Hunde, Drachenflieger und FKK Omis. Außerdem gibt es einen
ausgewiesenen Bereich für Schwimmer, einen Spielplatz und Sonstiges was Kinder
anlockt.
Ich laufe am Roland Krankenhaus vorbei, an den Gipsarmrussen
und all die versehrten mit ihren Gehhilfen. Die hassen den schludrig
gekleideten Gelegenheits-Jogger wie mich, mit seinem provokant abgeschlafften
Laufstil. Als ob ich hier nur wegen denen einen auf leichtfüßig machen würde.
Und ich komme sogar noch ein zweites Mal vorbei, agil und mit Daumen hoch. Pure Verachtung.
Es ist interessant zu beobachten, wohin junge Frauen schauen,
wenn sie mir beim Joggen entgegenkommen. Abwechselnd in die Wolken, die Bäume
oder auf das Wasser. Da gibt es überhaupt nichts zusehen, aber alles immer noch besser als des Starrens bezichtigt zu werden. Zwischen dem ersten Blickkontakt und dem Aneinandervorbeiziehen
liegen bestimmt zehn Sekunden. Solange beschämt in die Runde zu schauen, ist schon etwas albern. Erst auf den letzten Meter werfen sie einen eingeschnappten Blick rüber. Nach unten schauen
sie nie, wegen des Doppelkinns. Vermute ich. Erst einmal wurde mir zugelächelt.
Was das Laufen oder das Streckemachen so anstrengend
gestaltet, ist nicht der eigene Körper, sondern die der anderen. Am unerträglichsten
sind Läufer, die mich überholen und kurz vor mir wieder in ihr normales Tempo verfallen.
Das kommt zum Glück sehr selten vor. Ziehe ich während ihrer Dehn- oder einer Schwächephase wieder
an ihnen vorbei, kann ich mir ein „Meep Meep“ nicht verkneifen. Radfahrer haben
einen klar ausgeschilderten, eigenen Weg, die belästigen im Idealfall
niemanden. Hunde hingegen nerven immer. Inline Skater eigentlich auch. Wenn sie
einen überholen, sind sie durch das ausufernde Schwungholen in ihrer Geschwindigkeit
und dem Platzbedarf nur schwer einzuschätzen. Am schlimmsten sind Pärchen, die
Hand in Hand fahren müssen. Der Typ sehnt ganz offensichtlich den Moment in der
Beziehung herbei, in dem sie endlich über den Umstand des gemeinsamen Inline Skaten
hinweg sind. Oft versprühen die Herren auf ihren modernen Rollschuhen den Charme
eines Achtzigerjahre Freddy Mercurys. Und sie wissen es. They want to break free.
Oder sie spielen einfach nur bei Starligt Express mit. Kann
auch sein.
Ich schaue bei entgegenkommenden Passanten/Joggern meistens auf den Boden und tue wahnsinnig konzentriert. Ziemlich doof.
AntwortenLöschenUnd das mit dem Grüßen war mir neu; bei uns habe ich das noch nicht beobachtet. Vielleicht sollte ich damit anfangen und Reaktionen beaobachten. Dann hätte ich auch eine Lösung für das auf-den- Boden-gucken gefunden.
Wenn du nach unten schaust, kannst du den Gruß auch gar nicht mitbekommen. In der Werbung schauen die hoffnungslosen Fälle beim Joggen auch immer nach unten. Zumindest bis irgendein Produkt ins Bild geflogen kommt.
Löschen"Hoffnungsloser Fall" :/
AntwortenLöschenEs geht doch um das Hochgefühl!
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