Sonntag, 6. Januar 2013

Alles Chemie

"Du und ich, ich und du, viel mehr gehört vielleicht nicht dazu" Dendemann

Psychologiestudenten geben nicht gerne zu, dass sie Psychologie studieren, wahrscheinlich, weil es das Aushorchen erleichtert.
„Nein, nein, nein, das ist alles Chemie!“ Von einer angehenden Psychologin habe ich mehr erwartet. Wir sitzen auf der Heizung eines WG-Zimmers, um uns herrscht rege Betriebsamkeit. Die Studenten feiern das Ende eines weiteren Semester und ich kenne da eine von. Das erklärt meine Anwesenheit, sie gehört zum Semester. Das Gespräch hat sich auf dem Balkon entwickelt und wurde nun drinnen fortgeführt. Im Schutze der Musik konnte man offener reden oder falsch singen. Sie wollte wissen, ob viele Frauen auf meine freche Art abfahren würden. Sie konnte es sich gut vorstellen. Na klar. Ich erzähle ein bisschen vor mir her, bis sie das Gespräch auf die ganz großen Gefühle bringt, wobei sie sehr pragmatisch vorgeht. Fünftes Semester: mind control. Sie ist der Überzeugung, jedes Gefühl, und gerade die Liebe, basiert ausschließlich auf chemische Reaktionen im Gehirn und sei nicht beeinflussbar und vor allem irrational. Dopamin, Noradrenalin, alles schon mal gehört. Ihre Meinung zusammengefasst: Wer sich der Chemie widersetzt, kann nicht glücklich werden. 
Ich habe da meine Bedenken. Klar, technisch wird es so funktionieren, aber muss man sich das wirklich bedingungslos gefallen lassen? Meiner Meinung nach geht dem immer eine bewusste Entscheidung voran. Ja, Nein und wenn man auf Zeit spielt: vielleicht. Reine Herzensangelegenheit.

Bevor sie mich als hoffnungslos romantisch abstempelt, führe ich das kurz aus. Was auf sie wie eine willkürliche, chemische Reaktion wirkt, dem geht immer eine rationale Entscheidung voraus. Entscheide ich mich für oder gegen jemanden, danach geht es erst mit der Willkür los. Denn für jedes Argument dafür, gibt es eins dagegen. Aus Intelligenz wird Angeberei, aus Interesse wird Aufdringlichkeit oder anders herum, aus Dummheit wird Unbedarftheit, aus Hochmut wird Spaßbereitschaft. Je nachdem wie man sich zu jemanden bekennt. Ob nun für oder wider hängt andererseits von den drei großen Themen ab: Geld, Sex, Macht.
Da gibt sie mir Recht. Ungern zwar, aber wahrscheinlich klang es sachlich genug um ihrem Verständnis zu entsprechen. Daraufhin erzählte sie von einer Freundin (jaja, eine Freundin - Psychorhetorik), die genau das tut und zwar mit unheimlich viel Akribie und Kalkül. Die Freundin selektiert und überlässt dabei wirklich gar nichts dem Zufall. Sie arrangiert sich nämlich wie folgt:

Damit ihr die Hormone kein A – wie Arschloch für ein T – wie Traummann vormachen, verteilt sie die wichtigsten Eigenschaften auf mehrere Männer. Einen für das Bett. Einer mit Geld. Einer für die humoristische Unterlegung. Einer, der sie in allem bestätigt. Einer, der sie hinterfragt. Einer, der sich anhören muss, wieso der für das Bett so ein Arschloch ist usw. Und dann noch einer für jede Stadt, die sie gerne besucht. Alles gute Freunde, versteht sich. Damit das reibungslos funktioniert, dürfen sich die Typen niemals begegnen oder gar miteinander reden. Leuchtet ein. So nimmt sie alles mit, ohne dass die Chemie eine Chance hätte. Jeden bei Laune zu halten ist das Handwerk, den richtigen Abstand zu bewahren, die Kunst. Da steckt viel Arbeit hinter.

Das klingt alles so dermaßen unmoralisch, dass ich mir das gut vorstellen kann. Und dann „erwischt“ es sie dennoch und sie ändert ihren Lebensentwurf um 180 Grad, wie im Film, vermute ich. Die Geschichte geht jedoch erstmal anders weiter.

Beziehungen sind natürlich in das Konzept mit einbezogen und werden gerne mitgenommen. Das garantiert den nötigen Abstand zu dem Rest der Bande. Ansonsten orientieren sich die Beziehungen an die richtige Zeit und den richtigen Ort. Zweckgebunden halt. Was soll sie mit einem Typen in Hamburg, wenn sie in München lebt? Was soll sie mit einem ordinären Angestellten, wenn sie Psycho… äh… Sprachen studiert? Oder sie adaptiert Interessen, so muss sie sich, was auch immer, nicht erst mühsam anlesen oder selbst beibringen. Zudem rechtfertigen Beziehungen falsche Entscheidungen und lassen Niederlagen wie einen Wink des Schicksals aussehen. Zum Beispiel war ihre Freundin mal mit einem namenlosen Studenten aus einem ihrer Kurse zusammen. Der Kurs und die Idee dahinter waren der letzte Mist und absolute Zeitverschwendung, doch bevor sie sich das eingestehen musste, war da bereits dieser scheinbar x-beliebige Kommilitone. Nach dem Motto: hätte ich den Kurs nicht belegt, hätte ich ihn nie kennen gelernt. Nach dem Kurs war Schluss. „Es sollte einfach nicht sein.“

Damit kommt man durch? Ich meine, vor dem Spiegelbild und wer einem sonst so im Alltag begegnet? Wird man davon nicht paranoid? Irgendwann fliegt doch der ganze Puff in die Luft. Ist sie denn nun glücklich damit oder nicht, möchte ich wissen. Angeblich ist sie sogar sehr glücklich damit. Es fühlt sich vielleicht falsch an, aber ihre Argumentation ist hieb- und stichfest.

Wieso sollte ihre Freundin nicht überall jemanden haben, auf den sie sich freut und der sich freut sie zu sehen? Ob sie nun in das Fitnessstudio, zur Uni, zum Nebenjob oder in ihre Heimatstadt fährt oder nur auf einem breiten Sofa liegen möchte. Sie bleibt sich ja treu. Wenn sie ein Auto benötigt, ist sie nicht nett zu demjenigen, der das teuerste Auto hat, sondern zu dem, der ihr am meisten entspricht und den sie auch mag. Und ein Auto hat.
Wie viele von denen, die sich auf die Chemie im Kopf eingelassen haben, sind denn wirklich glücklich damit? Und verfälscht Alkohol nicht das Ergebnis?

Das alles erinnert mich an Sarah Connor, die sich ähnlich verhielt um ihren Sohn John die bestmögliche Ausbildung als Anführer gegen die drohende Roboter Apokalypse zu garantieren. Nur dass es in diesem Fall wohl eher um den Vorteil von Sarah geht und die Roboter Apokalypse das scheiß, echte Leben ist. 
Mehr fiel mir dazu nicht ein. Weder die Chemie-Variante, noch die verschrobene Charakterauslese überzeugt mich. Für mich bleibt es eine Herzensangelegenheit. Womöglich bin ich doch hoffnungslos romantisch oder einfach nur dämlich. Mit dieser Diagnose verabschiedet sie sich jedenfalls von mir und wankt in den Flur. Sie kennt da einen.

2 Kommentare:

  1. Wär mir ja zu stressig.

    Sechstes Semester: Bindungsangst.

    Aber wenn das mit Psychologie nix wird, kann man immer noch Roman-Autorin werden.

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    1. Absolut. Muss man als Roman-Autorin nicht erst Hausfrau und unglücklich sein? Das wird schon. Schiefgehen.

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