"Du und ich, ich und du, viel mehr gehört vielleicht
nicht dazu" Dendemann
Psychologiestudenten geben nicht gerne zu, dass sie
Psychologie studieren, wahrscheinlich, weil es das Aushorchen erleichtert.
„Nein, nein, nein, das ist alles Chemie!“ Von einer
angehenden Psychologin habe ich mehr erwartet. Wir sitzen auf der Heizung eines
WG-Zimmers, um uns herrscht rege Betriebsamkeit. Die Studenten feiern das Ende
eines weiteren Semester und ich kenne da eine von. Das erklärt meine
Anwesenheit, sie gehört zum Semester. Das Gespräch hat sich auf dem Balkon
entwickelt und wurde nun drinnen fortgeführt. Im Schutze der Musik konnte man
offener reden oder falsch singen. Sie wollte wissen, ob viele Frauen auf meine freche
Art abfahren würden. Sie konnte es sich gut vorstellen. Na klar. Ich erzähle
ein bisschen vor mir her, bis sie das Gespräch auf die ganz großen Gefühle
bringt, wobei sie sehr pragmatisch vorgeht. Fünftes Semester: mind control. Sie
ist der Überzeugung, jedes Gefühl, und gerade die Liebe, basiert ausschließlich
auf chemische Reaktionen im Gehirn und sei nicht beeinflussbar und vor allem
irrational. Dopamin, Noradrenalin, alles schon mal gehört. Ihre Meinung
zusammengefasst: Wer sich der Chemie widersetzt, kann nicht glücklich werden.
Ich habe da meine Bedenken. Klar, technisch wird es so
funktionieren, aber muss man sich das wirklich bedingungslos gefallen lassen?
Meiner Meinung nach geht dem immer eine bewusste Entscheidung voran. Ja, Nein
und wenn man auf Zeit spielt: vielleicht. Reine Herzensangelegenheit.
Bevor sie mich als hoffnungslos romantisch abstempelt, führe
ich das kurz aus. Was auf sie wie eine willkürliche, chemische Reaktion wirkt,
dem geht immer eine rationale Entscheidung voraus. Entscheide ich mich für oder
gegen jemanden, danach geht es erst mit der Willkür los. Denn für jedes
Argument dafür, gibt es eins dagegen. Aus Intelligenz wird Angeberei, aus
Interesse wird Aufdringlichkeit oder anders herum, aus Dummheit wird Unbedarftheit,
aus Hochmut wird Spaßbereitschaft. Je nachdem wie man sich zu jemanden bekennt.
Ob nun für oder wider hängt andererseits von den drei großen Themen ab: Geld, Sex,
Macht.
Da gibt sie mir Recht. Ungern zwar, aber wahrscheinlich
klang es sachlich genug um ihrem Verständnis zu entsprechen. Daraufhin erzählte
sie von einer Freundin (jaja, eine Freundin - Psychorhetorik), die genau das
tut und zwar mit unheimlich viel Akribie und Kalkül. Die Freundin selektiert
und überlässt dabei wirklich gar nichts dem Zufall. Sie arrangiert sich nämlich
wie folgt:
Damit ihr die Hormone kein A – wie Arschloch für ein T –
wie Traummann vormachen, verteilt sie die wichtigsten Eigenschaften auf mehrere
Männer. Einen für das Bett. Einer mit Geld. Einer für die humoristische
Unterlegung. Einer, der sie in allem bestätigt. Einer, der sie hinterfragt. Einer,
der sich anhören muss, wieso der für das Bett so ein Arschloch ist usw. Und
dann noch einer für jede Stadt, die sie gerne besucht. Alles gute Freunde,
versteht sich. Damit das reibungslos funktioniert, dürfen sich die Typen
niemals begegnen oder gar miteinander reden. Leuchtet ein. So nimmt sie alles
mit, ohne dass die Chemie eine Chance hätte. Jeden bei Laune zu halten ist das
Handwerk, den richtigen Abstand zu bewahren, die Kunst. Da steckt viel Arbeit
hinter.
Das klingt alles so dermaßen unmoralisch, dass ich mir das
gut vorstellen kann. Und dann „erwischt“ es sie dennoch und sie ändert ihren
Lebensentwurf um 180 Grad, wie im Film, vermute ich. Die Geschichte geht jedoch
erstmal anders weiter.
Beziehungen sind natürlich in das Konzept mit einbezogen und
werden gerne mitgenommen. Das garantiert den nötigen Abstand zu dem Rest der
Bande. Ansonsten orientieren sich die Beziehungen an die richtige Zeit und den
richtigen Ort. Zweckgebunden halt. Was soll sie mit einem Typen in Hamburg,
wenn sie in München lebt? Was soll sie mit einem ordinären Angestellten, wenn
sie Psycho… äh… Sprachen studiert? Oder sie adaptiert Interessen, so muss sie
sich, was auch immer, nicht erst mühsam anlesen oder selbst beibringen. Zudem
rechtfertigen Beziehungen falsche Entscheidungen und lassen Niederlagen wie
einen Wink des Schicksals aussehen. Zum Beispiel war ihre Freundin mal mit
einem namenlosen Studenten aus einem ihrer Kurse zusammen. Der Kurs und die
Idee dahinter waren der letzte Mist und absolute Zeitverschwendung, doch bevor
sie sich das eingestehen musste, war da bereits dieser scheinbar x-beliebige Kommilitone.
Nach dem Motto: hätte ich den Kurs nicht belegt, hätte ich ihn nie kennen
gelernt. Nach dem Kurs war Schluss. „Es sollte einfach nicht sein.“
Damit kommt man durch? Ich meine, vor dem Spiegelbild und
wer einem sonst so im Alltag begegnet? Wird man davon nicht paranoid?
Irgendwann fliegt doch der ganze Puff in die Luft. Ist sie denn nun glücklich
damit oder nicht, möchte ich wissen. Angeblich ist sie sogar sehr glücklich
damit. Es fühlt sich vielleicht falsch an, aber ihre Argumentation ist hieb-
und stichfest.
Wieso sollte ihre Freundin nicht überall jemanden haben, auf
den sie sich freut und der sich freut sie zu sehen? Ob sie nun in das
Fitnessstudio, zur Uni, zum Nebenjob oder in ihre Heimatstadt fährt oder nur
auf einem breiten Sofa liegen möchte. Sie bleibt sich ja treu. Wenn sie ein
Auto benötigt, ist sie nicht nett zu demjenigen, der das teuerste Auto hat,
sondern zu dem, der ihr am meisten entspricht und den sie auch mag. Und ein
Auto hat.
Wie viele von denen, die sich auf die Chemie im Kopf
eingelassen haben, sind denn wirklich glücklich damit? Und verfälscht Alkohol
nicht das Ergebnis?
Das alles erinnert mich an Sarah Connor, die sich ähnlich
verhielt um ihren Sohn John die bestmögliche Ausbildung als Anführer gegen die
drohende Roboter Apokalypse zu garantieren. Nur dass es in diesem Fall wohl
eher um den Vorteil von Sarah geht und die Roboter Apokalypse das scheiß, echte
Leben ist.
Mehr fiel mir dazu nicht ein. Weder die Chemie-Variante,
noch die verschrobene Charakterauslese überzeugt mich. Für mich bleibt es eine
Herzensangelegenheit. Womöglich bin ich doch hoffnungslos romantisch oder
einfach nur dämlich. Mit dieser Diagnose verabschiedet sie sich jedenfalls von
mir und wankt in den Flur. Sie kennt da einen.
Wär mir ja zu stressig.
AntwortenLöschenSechstes Semester: Bindungsangst.
Aber wenn das mit Psychologie nix wird, kann man immer noch Roman-Autorin werden.
Absolut. Muss man als Roman-Autorin nicht erst Hausfrau und unglücklich sein? Das wird schon. Schiefgehen.
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