Halbfinale. Schon wieder. Hier endet meine Erwartungshaltung an die Nationalmannschaft. Ich schaue das Spiel zu Hause. Nach
der Arbeit gehe ich ins Fitnessstudio. Es ist garantiert, dass der Laden
angenehm leer sein wird. Bei Deutschlandspielen ist sowieso alles lebloser,
außer die Straßen und Supermärkte. Da das Spiel erst um 22 Uhr übertragen wird,
kann man davon ausgehen, dass die Zeit vom ZDF mit ordentlich blödsinnigen
Beiträgen überbrückt wird. Wer ist der attraktivste Spieler,
Zuschauereinsendungen, Twitter, Archivbilder, Frisurenvergleich, Tipprunde von
Leuten, die ich vorher nie gesehen habe. Im Grunde reicht es einzuschalten,
wenn die Mannschaftsaufstellungen eingeblendet werden. Dafür sollte es mal eine
App geben. Du gibst vorgeschlagene Interessenfelder ein, mit Ranking und die
App sagt dir, wann du welchen Kanal am Fernseher einschalten sollst, oder das
Radio oder Live Streams oder Buch oder CD Veröffentlichungen oder Tourdaten werden
rechtzeitig durchgegeben und wenn was für dich dabei war, bestätigst du das und
der Algorithmus der App passt sich immer
mehr deinem Geschmack und Ranking an. Gefüttert wird die App mit allen
möglichen Programmdaten und fertig ist der Life Coach für den Alltag. Für
einmalige 4,99 €. Wer kann denn sowas mal programmieren? Finanziert wird das
Ganze über Crowdfunding.
Oder gibt es sowas bereits? Meines Wissens nicht, also
stelle ich den Ton aus, mache Musik an und packe die TK Pizza zum vortauen aus
dem Pappkarton. Etwas Besseres als Pizza, fällt mir zum Fußball nicht ein,
obwohl ich ja gar nicht vor dem Fernseher sitze und die Zeit hätte etwas zu
kochen… Never change a winning Team.
Endlich endlich, die Mannschaftsaufstellungen. Bei den
Deutschen ist im Grunde alles klar, Jogi hält sich an meinen Plan. Nur wie kompensieren die Brasilianer ihre
beiden Leistungsträger? Ziehen sie den spielstarken Oscar in die Mitte, wird
Fred endlich aus der Mannschaft genommen und durch einen dritten Sechser ersetzt?
Fred spielt, in die Mannschaft rücken Fernandinho, den
ich für einen absoluten Schwachpunkt halte und Bernard, den wiederrum fand ich
im Auftaktspiel ganz passabel. Die Brasilianer bestehen sowieso größtenteils aus Bubis, egal wer spielt.
Nicht mehr zu vergleichen mit den Legenden und Vorbildern Rivaldo, Romario,
Roberto Carlos, Ronaldo, Ronaldinho, Cafu, Adriano, Juninho der
Freistoßspezialist und natürlich der erste und beste aus der Reihe Bubis: Kaká.
Heutzutage spielen die Brasilianer ganz anders, unspektakulär,
meinetwegen moderner, aber durchdrehen tun sie trotzdem alle noch wenn Neymar
zum Dribbling ansetzt. Welch Doppelmoral. Aber Neymar ist heute nun mal nicht dabei.
Dafür sein Trikot, das bei der sehr emotional vorgetragenen
Nationalhymne von der Mannschaft hochgehalten wird. Deutlicher können sie ihre Abhängigkeit von einem einzelnen Spieler nicht zur schau stellen.
Anpfiff. Die Brasilianer fangen temporeich an. Die ersten
zehn Minuten machen mir sogar etwas Angst. Marcelo und Dani Alves jagen die Außenlinie
hoch und runter wie die Bekloppten, die sie ja auch sind. Dann hat Deutschland
seine erste Standardsituation. Endlich wurden die mal trainiert. Wie oft habe
ich das angemahnt? Der Ball fällt auf den zweiten Pfosten, Müller steht bereit
und BÄM, das 1:0. Sauber abgenommen den Ball. Müller hat eh eine super
Chancenauswertung. Es wundert und freut mich zugleich, dass der nicht so im Fokus großer Vereine steht.
Die Brasilianer gucken etwas blöd. Die werden jetzt
nochmal zehn Minuten anlaufen und dann sollte es das gewesen sein. Diese
emotionalen Wracks.
Es kommt etwas anders. Die Brasilianer kriegen gar nichts
mehr auf die Reihe. Klose macht in der 23. Minute, nach fein herausgespielter
Kombination, sein 16. WM-Treffer und hat damit den bereits heulenden Ronaldo
abgelöst. Kaum bin ich wieder von der Sofalehne heruntergeklettert, trifft Kroos
doppelt. Beides sauber herausgespielte Treffer. Dies sieht schon etwas zu leicht aus. Das erste Tor klaut er sogar
den ebenfalls freistehenden Müller, der im ersten Moment etwas pikiert
reagiert. Schließlich wäre es sein sechster Treffer gewesen und damit die fast
sichere Trophäe zum besten Torschützen der WM. Egal, es geht nämlich direkt weiter.
Khedira trifft. Zum Glück ist der wieder gesund geworden. Ein unheimlich
wichtiger Rückhalt für die Mannschaft. Das hat 2010 Mourinho auch erkannt, da
waren solche Spielertypen aber noch nicht so gefragt, trotz des Siegeszugs der
Doppelsechs. 5:0, davon vier Treffer innerhalb von neun Minuten! Auf Facebook
gibt es mehr Experten als ich dachte, das Ding ist also durch!? Gut zu wissen.
In der zweiten Halbzeit hält sich das deutsche Team
vornehmlich zurück. Nur dem eingewechselten Schürrle hat das niemand gesagt. Er
vollendet zwei ansehnliche Spielzüge mit genauso ansehnlichen Toren. 7:0. Es
werden noch zwei taktische Wechsel vorgenommen, ansonsten passiert nicht mehr
viel. Oscar kommt bei den Brasilianern tatsächlich durch die Mitte, dem gelingt
auch kurz vor Schluss der Ehrentreffer. Es wird kurz und knapp gejubelt, daraufhin wird wieder geheult. Abpfiff. Hier ist
gerade etwas Historisches passiert und ich denke die Argentinier und die
Holländer haben sich das genau angeschaut. Ich tippe mal auf ein Elfmeterschießen im
zweiten Halbfinale. Allein weil keiner im Finale auf Deutschland treffen
möchte. So klingt Selbstbewusstsein. Die Brasilianer hatten schon in den
Spielen zuvor keine gute Leistung gezeigt, konnten es aber kaschieren. Das
heutige Ergebnis ist nur in der Höhe überraschend.
Jetzt heißt es Vofreude pur auf Sonntag. Mir wäre Holland im Finale lieber. Wegen van Gaal und
wegen des Spiels um Platz 3. Dann gäbe es zwei Derbys und Brasilien könnte
eventuell mit einem Sieg gegen Argentinien vieles wieder gut machen. Sind ja nette Typen dabei.
Aber
am liebsten wäre es mir, wenn das Finale auf einen Samstag fallen würde.
Ich schaue mir noch lange die Berichterstattungen an, die
bescheiden gehaltenen Interviews der Deutschen und das emotional aufgeladenen Gewimmer der Brasilianer. Mal sehen, ob sich jemand traut zu behaupten mit Neymar hätte
Brasilien gewonnen. Aber wer ist so dämlich?
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