Samstag, 16. August 2014

Die großen Drei


„Danke, gut.“ Dendemann

„Jetzt brauchst du nur noch Gutes zu essen und kannst dir Platten kaufen.“ So meinte mein guter Freund Thilo, nachdem ich vor sechs Jahren den ersten Job als Diplomingenieur in Bremen angetreten bin. Im Grunde hatte er recht damit, wenn da nicht neben der finanziellen Verantwortung der schwer zu beeinflussende Faktor Gesundheit wäre und der ebenfalls schwer zu erzwingende Part „unangestrengte Beziehung“.

Die großen Drei. Um viel mehr muss man sich im Leben nicht bemühen. Der Rest ist dann Alltag. Gemütlicher, gestaltungsfreier Alltag. Gutes Essen, Platten kaufen, auf Konzerte und ins Kino gehen, Abnehmen, Fitnessprogramm, Haushalt, den Wäscheberg nicht größer als die Wohnung werden lassen, Empfehlungen nachgehen, Unterhaltungen, Bloggen, Kochen, Fußballspielen, Bücher weglesen und interessante Podcasts gibt es fast täglich. Leider kommt das alles schnell aus dem Rhythmus, wenn eine der drei Bedingungen nicht gegeben ist. Bei mir ist das die Regel. Für andere scheint das keine so große Herausforderung darzustellen. Die müssen sich nicht mehr bemühen, die brauchen sich nur noch zu kümmern.

Finanziell bin ich seit Beginn des Jahres ziemlich hintendran. Die Verantwortung habe ich übernommen, der Job, der mir meinen Alltag in Hannover finanzieren sollte, war da, nur leider das Gehalt nicht. Eine sehr diffizile Situation. Das gute Essen bleibt also aus. Ich ernähre mich vor allem von dem, was die Tiefkühltruhe hergibt. Freunde der ganzheitlichen Medizin wird es nicht wundern, dass eine bereits überstanden geglaubte Krankheit wieder durchbrach und sich schlimmer äußerte als noch vor ein paar Jahren. Das musste ja so kommen, dachte ich und beobachtete fasziniert was die Psychosomatik alles kann. Mein Immunsystem und meine Ausdauer fielen total ab. Eine Kurzstreckenfahrt mit der S-Bahn hat mich, im wahrsten Sinne des Wortes, körperlich so dermaßen mitgenommen, dass ich nicht mehr stehen oder auch nur eine Stufe nehmen wollte.

Dennoch versuchte ich meinen Alltag beizubehalten, was sollte mich auch daran hindern? Es können unmöglich sämtliche Beschäftigungen vom Geld oder dem Gesundheitszustand abhängig sein… Oder eben doch! Mein Alltag bestand aus Terminen mit dem Arbeitsgericht, mit Ärzten und Ämtern. Ich füllte Formulare aus, schob Rechnungen zur Seite, wechselte die Bank und füllte wieder Formulare aus. Ein einziger struggle. Spät abends blieben mir dann als Beschäftigungen Fernsehen, das Internet oder das, was mir am liebsten war: Schlafen.

Mitte Mai ergab sich eine neue Arbeitsstelle und damit verbunden ein neues, regelmäßiges Gehalt. Der Ärztemarathon brachte mir nur gute Nachrichten ein und mein Gesundheitszustand besserte sich sichtlich. Die Gerichtstermine konnte ich als Sieg verbuchen und warte hoffentlich nicht mehr allzu lange auf das ausstehende Gehalt. Gemäß meiner Kalkulation bin ich im November aus dem Gröbsten heraus und kann mir wieder Platten kaufen und/oder gut Essen. Nach einer Zwangspause befinde ich mich im Fitnessbereich zum ersten Mal in der Definitionsphase und betreibe die Anstrengungen nicht mehr ausschließlich aufgrund irgendwelcher Regenerationsmaßnahmen.

Letzte Woche schlenderte ich ausgelassen, von einem Arzttermin kommend, die Straße entlang. Im Fragebogen des Arztes konnte ich hinter den Allergien, Herzfehlern und sonstigen chronischen Geschichten ein Nein setzen. Außer beim Rauchen, aber das fühlte sich ganz okay an. Die Auflistung all der Krankheiten und körperlichen Gebrechen, die einen Menschen so begleiten können, hinterließ eine deutliche Botschaft: Mir gehts gut. Ich mein, es könnte weiß Gott schlimmer sein.
So verlief auch das Gespräch mit dem Arzt. „Das kriegen wir alles wieder hin.“ Und obwohl ich keine der ansteckenden Krankheiten habe, durfte ich obendrein den Kugelschreiber, mit dem ich den Fragebogen ausfüllte, behalten.

Ich kam also gerade vom Arzt, auf dem Weg der Besserung quasi, schlenderte ausgelassen und ging die Rechnung nochmal durch: Solvent, gesund und das, was andere Mütter wohl eine gute Partie nennen. Grund genug misstrauisch zu bleiben.
Bei Christoph Schlingensief hieß es mal: „Glück hat, wer mal nicht über sich und seinen Zustand reflektieren muss. Und dieses fast zwanghafte überlegen über den eigenen Zustand macht alles so sauer und ungenießbar!“
Endlich nicht mehr über seinen Zustand reflektieren müssen. Im Grunde meint dieser Satz nichts anderes als die großen Drei und die rücken doch tatsächlich in eine für mich realistische Reichweite... hm? Und wie lange würde ich den Zustand aufrechterhalten können?
Vielleicht erstmal ein Jahr, oder bis ich zehn Kilo abgenommen habe oder wenigstens bis die für die Wohnung geplanten IKEA Pflanzen eingehen?

Seit dem 3. August habe ich Rückenschmerzen. Im Lendenwirbelbereich. Bandscheibenvorfall. Derselbe Mistkerl wie vor sechs Jahren. Eigendiagnose oder nicht, die Schmerzen sind da und mir gut bekannt. Halb zog sie ihn, halb sank er hin. Verdammte Gesundheit.
Manchmal glaube ich, Niemand kriegt das mit den großen Drei auf die Reihe. Die tun nur alle so!

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