Dienstag, 23. November 2010

I was born by the River

"I've been so many places in my life and time
I've sung a lot of songs I've made some bad rhyme
I've acted out my love in stages
With ten thousand people watching
But we're alone now and I'm singing this song for you" Herbie Hancock

Herbie Hancock, Jazz Legende und Vollblutmusiker, gastiert in Bremen und ich habe eine Karte. Günstigste Kategorie zwar, aber als Sitzriese sehe ich kein Problem darin in den hinteren Reihen zu hocken, zudem erwarte ich nicht mehr besonders viel Bühnenshow von einem Siebzigjährigen. Wie so oft zu bedeutsamen Ereignissen, bin ich viel zu früh vor Ort. Wohlwollend könnte man meinen: wie ein ehrgeiziger Reporter. Bleibt man aber bei der Wahrheit, ist es bei mir gar nicht die Angst wie Clark Kent die Action zu verpassen , die mich so früh aufschlagen lässt, es ist viel mehr der Gedanke, andere müssten wegen mir noch mal aufstehen, damit ich zu meinem Sitzplatz komme oder das Licht im Saal könnte bereits aus sein wenn ich die Seitentür aufreiße, Licht flutet herein, alles guckt, nein danke.


Um 19 Uhr 20 bin ich in der Glocke. Auf den hier veranstalteten Plattenbörsen kam mir der Laden nie so geschmackvoll vor. Mit meiner Jeans, dem gestreiften Pullover und meinen Sneakers passe ich dennoch gut ins Geschehen. Der Jüngste bin ich nicht. Einige Eltern oder Großeltern haben ihren Nachwuchs mitgeschleppt, der ständig etwas in sein Smartphone tippt.
Neben den älteren Herrschaften, sind einige Biertrinkende Pärchen anwesend, dessen Alter man nicht richtig einschätzen kann. Aussehen tun sie wie kinderlose 35, in Wirklichkeit sind sie bestimmt jünger. Das übliche Bild. Die Dünnen sind trashig bis hip angezogen, was die mondäne Vorstellung, den Abend betreffend, bei den adretten Damen und Herren bestimmt etwas nach unten korrigiert, die dickeren sind in Hemd und Seidenhose gekommen.

Um 19 Uhr 30, genau nach dem ersten Gongschlag, sitze ich bereits auf meinem Platz, der nur knapp einen Pfeiler verfehlt. Kurz habe ich die naive Hoffnung, das Konzert sei nicht ausverkauft und ich könnte mich später platzieren wo ich möchte. Um 20 Uhr rum betreten die letzten den Saal. Es ertönte bis dahin bereits viermal der Gong. Neben mir nimmt ein junger Herr in Hemd und Seidenhose mitsamt Freundin seinen Platz ein und duzt sofort los. Ob ich noch genügend Platz hätte neben seinen breiten Schultern, ob das denn ginge mit meinen langen Beinen, ob er mal kurz durch könne, wäre auch das vorletzte Mal, ob ich alles sehen würde, es sei doch ganz schön knapp mit dem Pfeiler. Ja, ja, ja und ja, was hilft es denn?

Hinter mir sitzen ein paar halbstarke Jugendliche, vor mir, ein völlig verschwitzter, unrasierter Herr, der ständig an seinem rechten Mittelfinger nuckelte. Erst als er aufstand um jemanden durchzulassen, sah ich, dass seine weiße Hose voller Blutstropfen und zudem die Naht an seiner Gesäßtasche großflächig aufgeplatzt war. Der ist bestimmt irgendwo auf der Straße abgeglitscht. Unter seinem Baumwollpullover trägt er ein hellblaues Poloshirt und darunter zusätzlich ein langärmeliges, weinrotes Hemd. Der würde heute nicht mehr aufhören zu schwitzen.

„Na, so langsam wird die Luft hier auch schlechter, was?“
Wieso redet der Dicke denn nicht mal mit seiner Freundin, die hat ihn doch extra dafür hierher geschleppt? Zehn nach acht betreten, von einem Bassriff begleitet, nach und nach die Künstler die Bühne. Als letztes erscheint selbstverständlich der Meister persönlich. Die fünfköpfige Band jamt erstmal vor sich hin, bevor sie uns vorgestellt wird. Dabei beweißt Herbie humoristisches Talent. Er liefert einige Lacher und erklärt das Konzert zu einem Spiel. Die Richtung ändert sich ständig, niemand weiß was hinter der nächsten Ecke auf ihn zukommt, je nachdem welcher Musiker gerade am Steuer sitzt. Kein Abend sei wie der andere und Kein Song so wie er ihn geschrieben hat. Das versprach schon mal viel. Die Gesangparts werden hauptsächlich von Kristina Train übernommen, die nebenbei noch wunderbar Geige spielt. Als sie die Bühne betritt, lässt Herbie sich zu dem Satz: ja, sie kann auch singen, hinreißen. So richtig glauben möchte man ihm das nicht, so schön ist die. Was soll ich sagen? Er hatte recht.

Herbie und Kristina live bei Jimmy Fallon

Die Band spielte und improvisierte inklusive Zugabe locker zweieinhalb Stunden. Ich empfand die Synthesizer Einsätze etwas unpassend, der Hall matschte im Hintergrund zu sehr mit. Zumindest konnte man so ausmachen, wenn es sich um einen seiner Filmsongs handeln musste. Außerdem rauschte Herbies Mikrofon bei Nichtbenutzung, was der Tontechniker etwas spät registrierte. Das störte aber alles nicht im geringsten, gerade wenn auf der Bühne musikalisch so gewirbelt wird. Jeder einzelne beherrschte sein Instrument bis in die Perfektion. Allein das Gehör und das musikalische Verständnis, sowas kann man nicht lernen. Noten erscheinen daraufhin völlig überflüssig.

Bei dem Song Watermelon Man klatschten und stampften die Jugendlichen hinter mir enthusiastisch mit. Leider völlig aus dem Takt. Könnte Ironie gewesen sein, oder es sind einfach nur unmusikalische Arschlöcher. Von wegen „Ruhe auf den billigen Plätzen“. Wenigstens schienen sie den Apple Joke begriffen zu haben. Am Anfang der Show zitierte Herbie Steve Jobs. Alles lachte, bis auf ich. Auf der Bühne standen gut sichtbar zwei große Apple Macs, auf denen die ganze Zeit über ein psychedelischer Bildschirmschoner lief. Auch als die Rede auf das iPhone kam, begriff ich nicht den Zusammenhang. Selbst seine Einstellung zu den iGeräten kam dabei nicht deutlich rüber. Keine Ahnung was das sollte.

Der Abend war sehr angenehm. Das muss man einfach mal erlebt haben. Noch ist Zeit dafür, er wirkte sehr fidel auf der Bühne und in seinem Spiel sowieso.
Jazz hat sich mir nie so richtig erschlossen. Die Vielfalt und die Tiefe des Genres machten mir immer etwas Angst. Sich damit zu beschäftigen würde Jahre in Anspruch nehmen und verstehen alleine reicht womöglich nicht. Jazz will gefühlt werden. Die Stimme in meinem Hinterkopf, die mich ständig dafür verurteilt, im Jazz dutzende von genialen Stücken ungehört liegen zu lassen, wurde nach diesem Abend wieder etwas lauter. Da ändert auch die Kenntnis über Miles Davis oder Luis Armstrong nichts.

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