Ich kriege die Krise. Die Finanzkrise. Die griechischen Ein-
und Zweieurostücke fallen immer wieder durch den Zigarettenautomaten. Apropos
Finanzkrise, ist es wirklich noch zeitgemäß tausende von dicken Telefonbüchern
in die Haushalte Bremens zu liefern? Die Kosten dafür werden sicherlich
irgendwo in irgendwelchen Gebühren einkalkuliert sein, dennoch, wer braucht
denn ein Telefonbuch? Ich habe noch nicht einmal das vom letzten Jahr
durchgelesen. Sicherlich schlagen ältere Herrschaften gerne nach, ob der ein
oder andere ehemalige Schulkamerad weiterhin im Verzeichnis vertreten ist, wie
nahe kommen die Einschläge? aber das rechtfertigt in meinen Augen den Aufwand
nicht. Die GEZ geht einen anderen Weg. Sie fordert mich auf ihnen die
Vorgedruckte Einzugsermächtigung unterschrieben zurückzusenden und verweist
dabei unter anderem auf mein Umweltbewusstsein. Leider war der mitgeschickte
Briefumschlag nicht frankiert. Als ob ich nicht bereits genug bezahlen würde.
Okay, zugegeben, der letzte Tatort war, trotz dubioser Beziehungskiste, nicht
schlecht.
Im Postamt rechnete ich mit einem gewaltigen Ansturm von
Menschen, denen, genau wie der Gedanke mal wieder zu spenden, ausgerechnet
heute einfällt, dass sie mit einer einzigen Weihnachtskarte bis Ostern vor der
buckligen Verwandtschaft Ruhe haben. Vor der Philatelie war tatsächlich viel
los, die anderen Schalter hingegen winkten die wenigen Kunden so durch. Das
Problem waren ältere Damen, die sich für die Weihnachtsedition der Briefmarken
interessierten. Ehrliches Interesse. Für Briefmarken! Würde mich nicht wundern,
wenn die so auch ihren Ehemann kennen gelernt haben.
Der Vorteil ist, beim Kauf der Sonderedition beruhigt man
gleichzeitig sein Spendergewissen. 25 Cent gehen an irgendeine Einrichtung,
also 25 Cent extra zu den 55 Cent Porto. Die blaue Mauritius wird nicht dabei sein,
für mich also bitte ohne Spende. Falls ich vor Ladenschluss drankommen sollte.
Seitdem ich es geschafft habe in einem indischen Postamt
vier Postkarten zu verschicken, schüchtert mich das Warten nicht mehr ein.
Meine Einstellung zum deutschen Beamtentum hat sich seitdem
enorm verbessert. Allein die Tatsache, dass eine Schlange gebildet wird, stimmt mich
zuversichtlich. Damit meinen Freunden auch in Zukunft Sätze wie: dann musst
du mal sehen, wie die das in Indien handhaben, erspart bleiben, erzähle ich lieber
hier einmalig von dieser Odyssee.
Insgesamt bin ich in Dehra Dun dreimal durch die Tür des Postamtes
gegangen, nur um direkt wieder umzukehren. Zwar vermutete ich hinter den
Menschentrauben einen besetzten Schalter, aber solange ich dort niemanden in die
Augen sehen konnte, ließ ich es lieber bleiben mich anzudrängeln. Die in Indien
üblichen Kassen, an denen sich ausschließlich nur Frauen anstellen dürfen, gab es in dem Amt nicht. Ich vermisste sie auch nicht. Das bringt sowieso nichts als Mann. Die Anzahl der Menschen wird nicht
geringer, nur weil die Hälfte an einem eh geöffneten zweiten Schalter steht. Was
wie eine tolle Serviceleistung klingt, hat einen ethnologischen Hintergrund.
Gesonderte Kassen stehen in keiner Relation zu dem indischen Frauenbild. Ich
weiß ja um die hohe Frauenquote unter meinen Lesern.
Bei meinem dritten Versuch hatte sich die Menschenmenge
deutlich gelichtet. Briefmarken hatte ich mir bereits in Mumbai besorgt, ich
brauchte nur noch einen Kugelschreiber um die Adressen niederzuschreiben und kompetente
Hände, in die ich die Postkarten geben konnte. Gerade als ich an der Reihe war,
heißt, ich mir genügend Platz mit den Ellbogen verschaffte, so dass der Beamte mich
nicht mehr übersehen konnte, holte jener sein Lunchpaket unter dem Schreibtisch
hervor und machte erstmal Mittagspause. Deshalb war es so verhältnismäßig leer,
ich war in die Mittagspause geraten. Nachdem ich minutenlang mit offenem
Mund den Leuten beim essen zusah, ging es weiter. Leider nicht mit mir. Ich gab
meinen viel versprechenden Posten auf und entschloss einen der Kunden nach einem
Stift zu fragen. Es saßen genug herum, die etwas notierten oder gar Vorort die
Wartezeit nutzten, um ganze Briefe zu verfassen. Briefe oder besser
Bekennerbriefe, wie mein von Vorurteilen belasteter erster und einziger Eindruck
war. Meinen schweifenden Blick bemerkend, fragte mich ein Inder was ich suche.
Ich zeigte ihm die Postkarten und deutete eine Schreibbewegung an. Pencil, yes Sir.
Er wiederum deutete auf einen Schalter in der Ecke des Gebäudes, der den mit Abstand geringsten Andrang vorwies. Kein gutes Zeichen. Als ich dort nach einen
Stift fragte, verschwand die Dame hinter dem Schalter in einen Nebenraum. Dass
die keinen Stift holt, konnte ich mir denken.
Von meinem Nebenmann bekam ich die üblichen Seitenhiebe zu
spüren, nichts Besonderes, bis ich merkte, die Hiebe waren seinen
Schreibbewegungen geschuldet. Interessanterweise schrieb er die Adresse schräg in
die Ecke des Umschlages verlaufend. Ich habe ja schon Probleme den Platz einzuschätzen, wenn
ich normal untereinander schreibe. Er zog einen Strich und komplettierte das
Hindi souverän mit Häkchen und Verzierungen, am Ende passte alles genau in die
Ecke. Respekt. Danach gab er mir unaufgefordert seinen Stift.
Ich notierte die Postleitzahlen aus dem Gedächtnis heraus, bedankte mich und
ließ mir erklären, dass für das Ausland bestimmte Post in den Briefkasten, draußen am
Eingangstor kommt. Der Wachmann zeigte mir auf Nachfrage und mehreren Handzeichen
den richtigen Briefschlitz, der einzige rote. Ich kam mir nicht besonders weltmännisch vor,
trotzdem denke ich, eine Stunde ist eine gute Zeit für vier Postkarten. Alle Karten
sind übrigens angekommen, sogar die nach Hamburg, dessen Postleitzahl mir nicht
mehr einfiel. Die angekündigten Briefe habe ich nicht versendet. Unter anderem weil ich nicht weiß was Briefumschlag auf Englisch heißt, außerdem hatte ich
Hunger bekommen.
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