"If you fool around
With the dealer
Remember soon
You'll have to pay
He'll creep behind you
Like a hunter
Just to steal your soul away" Deep Purple
Wir kamen aus dem Zoo. Vier Leute, ein fünfer Länder-Ticket. Im Wagon stand ein unauffälliger, ja… Mann mittleren Alters neben uns und fragte mich, ob er auf unserer Karte mitfahren könnte. Es tat mir leid, Nein. Er hatte wahrscheinlich bereits vorher ausgemacht, dass wir nur zu viert waren. Darauf angesprochen, willigte ich ein. Ich hatte ja nicht aus Prinzip nein gesagt, sondern weil ich mit autoritären Entscheidungen einfach schlecht umgehen kann. Was hätte ich machen sollen, abstimmen lassen?
Nachdem die anderen drei ausgestiegen waren und ich noch eine Dreiviertelstunde Zugfahrt vor mir hatte, setzte er sich mir gegenüber. Er bedankte sich und erklärte mir, dass er kein Geld für die Fahrt hätte, weil er an einem Rehabilitierungsprogramm, oder Therapie, wie er es nannte, teilnehme. Ist doch selbstverständlich, versicherte ich ihm und schaute verlegen aus dem Fenster. Er müsse für die Sitzungen, einmal die Woche mit dem Zug pendeln. Wegen seiner Spielsucht. Deshalb wäre das Geld knapp. Nachdem er das Kiffen aufgegeben hatte, brauchte er was anderes um sein Suchtverhalten zu kompensieren. Wie bescheuert hatte er das Geld in den Automaten gesteckt. Seine Freunde taten es ihm gleich, seine richtigen Freunde mahnten ihn, es sei doch verrückt sein gesamtes Geld in die Automaten zu stecken. Es kommt selten vor, dass ich jemanden treffe, der mitteilungsbedürftiger ist als ich.
Früher hat er auch gedealt. Erst mit Gras. 30 bis 40 Euro Netto am Tag hätten ihn anfangs gereicht. Dann kamen die Frauen, da mussten es schon 300 bis 400 Euro sein. Nachvollziehbar. Die Familie wurde ebenfalls unterstützt und nachdem das Gewissen beruhigt war, kam der Größenwahn. 3000 bis 4000 Euro Netto am Tag, das konnte man mit Marihuana natürlich nicht verdienen. Er stieg auf härtere Drogen um. Aufgrund der Dealerei hat er sich in der Stadt einen Namen gemacht, kam viel rum und brachte ordentlich was unter die Leute. Die Polizei wusste bescheid, konnte ihn aber aufgrund seiner peniblen Vorsichtsmaßnahmen nicht überführen. Wohnungsdurchsuchungen brachten nur ein paar lächerliche Gramm Marihuana hervor. Sowenig, dass er sich vor Gericht sogar eine große Klappe leisten konnte. Seine kleinen Delikte und damit die Bewährungsstrafen häuften sich an.
Er fragte mich, ob wir rauchen wollten. Dass wir uns in einem Zug befanden, störte ihn nicht. Gehen wir halt auf die Toilette, versuchte er zu überzeugen. Meine Skepsis, die Rauchmelder betreffend, wimmelte er ab. Gibt es nicht. Das war mir zu anstrengend, er solle mal alleine gehen. Von meinem Sitzplatz aus konnte ich den Gang mitsamt Toilettentür gut einsehen. Es hat sich eine ungewohnt lange Schlange vor der verschlossenen Toilette gebildet. Nach fünfminütigem Warten hatte er die Lust verloren und setzte sich wieder. Schade, ich hätte gerne in die genervten Gesichter der wartenden Fahrgäste gesehen, als einziger wissend, weshalb sie dort warten mussten. Den Reiz Komplize eines Verbrechens zu sein, kannte ich schon gar nicht mehr.
Er hatte sich gleich mehrere Wohnungen gemietet. In den angemieteten Wohnungen, von denen er glaubte, die Polizei würde sie nicht mit ihm in Verbindung bringen, kam es zu den Übergaben. Dort lagerte auch die Ware. Der Stoff kam über die Grenzen. Holland und so.
An einem nervösen Tag, brachte er einen lukrativen Käufer zu einer seiner inoffiziellen Wohnungen. Einen Deutschen, denen vertraute er. Er schwur mir, dass er sonst immer vor der Wohnung gewartet hätte bis Niemand mehr auf der Straße war oder in den Autos saß. Der Deal war zu verlockend. Kiloweise wollte der Kunde das Zeug aus der Bude tragen. Er wurde unachtsam und ignorierte die Jugendlichen in dem Auto auf der anderen Straßenseite. Sie wirkten auf ihn harmlos, sie lachten dümmlich vor sich hin und das Auto war selbst für Zivilbullen Verhältnisse zu schäbig. Ob der Käufer auch von der Polizei war, erwähnte er nicht.
Kaum war der Deal über die Bühne gegangen, traten die gepanzerten Polizisten seine Wohnungstür ein. Wie im Fernsehen. Auf den Bauch legen, Hände auf den Rücken, Kopf zur Seite, anschreien lassen. Das volle Programm. Alles eine riesige Scheiße, wie er mir versicherte.
Seine Bewährungsstrafe war aufgebraucht. Ich wusste gar nicht, dass das so funktioniert. Solange Scheiße bauen, bis der Richter sagt, nur noch einmal, dann ist aber auch mal gut. Er holte sich einen spitzen Typ von Anwalt. Der brachte ihn in die Therapie und bewahrte ihn so vor dem Knast. Er konnte sich, als er mir dies erzählte, das Grinsen nicht verkneifen. Er hatte dem Richter noch gedroht, obligatorisch, und setzt sich nun einmal im Monat in den Zug zur Therapie. Nach einem kurzen Ausflug durch unser Rechtssystem und den dort vorherrschenden Relationen in Sachen Strafmaß, erfuhr ich, dass es jawohl viel schlimmer sei betrunken Auto zu fahren als zu dealen. Er sei ein guter Mann, der nie seine Frau geschlagen hat, na gut, einmal, aber das war berechtigt. Hartz IV reiche nicht zum leben, wenn ihm Kollegen nicht hin und wieder Arbeit zuspielen würden, wäre er längst wieder in die Kriminalität getrieben worden. Vom Staat. Also auch von mir. Das war natürlich bitter. Wenn ich nicht soviel Angst vor ihm gehabt hätte, hätte ich ihm meine Hand auf das Knie gelegt und mich aufrichtig entschuldigt.
Vielleicht zieht er um, in ein neues Umfeld, eine neue Stadt, überlegte er sich. Das Problem in einer fremden Stadt sei es nur den Fuß ins Drogenmilieu zu bekommen. Seine anfängliche Läuterung, er fügte an fast jeden Satz „das war Scheiße“ an, schien verschwunden. Er markierte mir gegenüber den unbeugsamen Draufgänger, gab mir die Hand und verabschiedete sich. Noch zwei Sitzungen hatte er vor sich, dann kann das Leben weitergehen.