Hamburg - das Tor zur Welt. Oder wohl eher der
Personaleingang zur Welt. In der Nacht vom 29. auf den 30. November blieb jedenfalls
beides geschlossen. Aus betrieblichen Gründen. Reiner Hohn. Wer konnte damit
rechnen, dass Hamburg ab 0:00 Uhr die Bordsteine hochklappt? Niemand! Bis auf
die Besoffenen und Nutten auf dem Kiez, macht keiner mehr was los. Aber dort
wurden die Bordsteine auch über die Jahre durch Autoscheiben gescheppert oder
eben gelatscht.
Wir kamen von dem The XX Konzert und steuerten zugeknöpft
die Innenstadt an. Irgendwas geht ja immer. Irgendwo müssen die Seebären ihre
Geschichten loswerden, Dittsche geht sicherlich nicht nach Drehschluss ins
Bett und Ina Müller wirkt so, als ob sie täglich in einer Kaschemme für ihre
Sendung probt. Wie kriegen die sich sonst dicht, wenn die alle dicht machen würden?
Nachdem die ersten Läden ihre Tore vor unserer Nase schlossen,
entschieden wir uns für die Touristennummer. McDonalds - Bahnhof, darauf ist
verlass, das Prinzip gilt auf der ganzen Welt und Hamburg gehört ja irgendwie
dazu. Die Feuerwehr und Polizeistaffeln ließen es bereits vermuten, eine
unspektakuläre Rauchentwicklung versperrte uns den Durchgang zu den rettenden
Fast Food Ketten im Bahnhof. Angeblich haben sich St. Pauli Fans zu St. Pauli
Anhängern degradiert.
Ein kleiner Abstecher in die Zigeuner Straße hinterm Bahnhof
reichte aus um uns festzulegen: Kiez nervt, sogar im Kleinen. Neonlicht Milieu,
außer für ein paar schlechte Reportagen über „das Geschäft mit der Lust“ war
das Gepose echt nicht zu gebrauchen. Über den meisten Geschäften glimmte das
Neonlicht nur noch schwach oder war gänzlich ausgefallen. Es sah aus, als seien
die Buchstaben aus der Reklame geflohen, wie in der Sesamstraße bei den
Buchstabendetektiven. Wer kann es ihnen verdenken? Genau wie Humphrey Gocard
und Ludwig Lupe blieben wir auf unserer Suche ebenfalls erfolglos. Nirgends gab es ein
ansprechendes Plätzchen für die nächsten Stunden. Nach unserer kleinen Odyssee,
ich wiederhole mich gerne, in Hamburg ist nichts los, konnten wir wenigstens
den Bahnhof betreten.
Aus Betrieblichen Gründen geschlossen. Falls überhaupt
einmal im Jahr bei McDonalds der Fettabscheider ausgetauscht wird, dann findet
es um den 29. November statt. Als wärmende Unterkunft blieben jetzt nur noch
die Warteräume, zwischen den Gleisen. Meine charmante Begleiterin kaufte bei
einem freien Journalisten, der vor dem Bahnhof die tagesaktuelle Presse
vertickte, den Stern und wir bequemten uns auf die pragmatisch gehaltenen Sitze
in den Warteraum. Mit uns wartete ein älteres Paar auf die Weiterreise. Sie
lösten Kreuzworträtsel und spielten sich gegenseitig die Buchstaben, Reihen und
Synonyme zu. Während ich den Stern las, und zwar alles darin, betraten weitere
Nachtschwärmer den Warteraum. „McDonalds hat dicht, wusstet ihr schon?“
Vor den Gleisen begannen sich Punks zu tummeln. Punks sind
schon lange zur Mode verkommen und so sahen diese Kollegen auch aus. Entweder
schrieen sie laut „Ficken“ in die Bahnhofshalle oder sie klaubten Geld für
weiteres Bier zusammen. Im Grunde nichts anderes als in jedem Sportverein.
Mittlerweile hat sich unser Streckenposten gefüllt, man spürte regelrecht die
wortlose Verbundenheit zwischen uns, wir gegen die Kälte und die Punks und die
Punks gegen alles. Eine Dame aus Kiel kam gerade vom Toten Hosen Konzert und
fing das Erzählen an. Früher waren Punks noch richtige Punks, sie meinte damit
sich, und mit Campino konnte man früher Bier zusammen trinken, heute pennt der
im Vierjahreszeiten. Zur ganz großen Brandrede gegen das Establishment kam es
zum Glück nicht, das Konzert war nämlich geil. Sie hatte den Beweis auf ihrem
Handy und wir bald auf Youtube. Der komplette Speicher war voll! Mensch. Ich
frage mich, ob das sofortige drauflos Duzen und die Aussicht auf Aufmerksamkeit in dieser
Selbstverständlichkeit, vom Punkrock hören kommen? Na klar hängt das zusammen,
sie erzählt ja von nichts anderem. Ich kann hin und wieder was einstreuen.
Buchwissen. Reicht aber.
Stunden später. Die Punks verstummten und stiegen in den
ersten Zug. Diese AOK Lümmels hatten bestimmt ein Gruppenticket. Uns gegenüber
hat ein junger Mann platz genommen. Er hörte auf seinem weißen iPhone viel zu
aufdringlich Musik. Ohnehin war er bemüht das Klischee eines pseudoreichen
Albaners zu entsprechen. Die Schuhe waren weiße, abgelatschte Jordans, die Hose
eine Stonewashed Jeans mit reichlich fragwürdigen Applikationen, schwarzes, hochgegeltes,
leicht schütteres Haar, Ohring, vermutlich von Snipes, und auf seiner Jacke
stand irgendetwas übertrieben großes, das an Dieter Bohlens Klamottengeschmack
erinnerte.
Bis auf die Musik, ein zurückhaltender Typ. Spannend machte
es eine ältere, fußlahme Dame, die versuchte ihren Rollstuhl in den Warteraum
zu drücken.
„Geht es?“ Ja, nein, was denn nun?
Endlich saß sie und fing direkt an zu erzählen. Ich weiß
nicht mehr, ob irgendwer sie dazu angestachelt hat oder ob sie von sich aus auf
das brisante Thema „Migrationsprobleme“ kam. Erst vor kurzem wurden ihr das
neue Samsung Handy und mehrere Hundert Euro aus der Jackentasche geklaut.
Einfach so! Warum haben alte Menschen auch immer soviel Bargeld bei sich? Wären
mir hunderte von Euro aus meiner offenen Wolfskin Jacke geklaut worden, hätte
ich dafür nur Spot und Hohn geerntet. „Gott, bist du blöd, selbst schuld.“
Die Dame hingegen lieferte den Schuldigen gleich mit. „Der
Albaner war es! Der kommt hier her und beklaut fußlahme Damen.“
Ich schaute zu dem jungen Mann rüber. Seine Musik war
mittlerweile abgeklungen. Er setzte seinen Rollkoffer etwas zurück, ich
dachte, nun verlässt er wortlos den Raum, den Bahnhof, das Land. Es kam besser.
Er platzierte seinen Fuß auf den Koffer und sagte, das mit den Diebstählen, das
seien die Kosovo Albaner, die ganzen Zigeuner. Der Albaner an sich ist kein
schlechter Mensch. Er sei nämlich selber einer.
Das sah man doch! Mensch Omi, wie wäre es, wenn du mal statt
deiner Jackentasche, die Augen aufmachst? Die Dame entschuldigte sich
kleinlaut, nahm aber das neue Feindbild sofort dankend an. „Jaja, diese Kosovo
Albaner, diese Zigeuner, die waren das.“
Ihr ist doch egal was sie redet. Uns auch.
Wenig später musste sie niesen, eine Vorlage, die der
zuvorkommende Albaner mit seinen Genesungswünschen sauber verwandelte. Als
einziger.
Daraufhin kam unser Zug. Viel zu spät , dennoch etwas zu
früh.
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