Donnerstag, 11. Dezember 2014

Adventskalender 11. Fenster

Ich war dieses Jahr auf einigen Konzerten. Unter anderem hatte ich eine Karte für das Helge Schneider Konzert in Hannover. Die Tour mit dem Namen Pretty Joe und die Dorfschönheiten sollte Helges letzte werden. Diese Aussage hört man ja oft von alternden Legenden, bestenfalls einmal im Jahr. Dass Helge es ernst meinte, kriegte ich erst während des Auftrittes mit und im Nachhinein bin ich recht froh darüber. Dass wir uns nicht falsch verstehen, ich verehre Helge Schneider und war die letzten Jahre immer auf seinen Tourneen, deshalb traue ich mich auch zu behaupten, sein Publikum hat sich gewaltig zum negativen verändert.

Helge ist nicht mehr der Kultkomiker und Musiker, der er noch zu seinen 00 Schneider Zeiten war. Es fällt mir schwer  zu sagen woran es liegt. Vielleicht sind es die Auftritte bei Stefan Raab oder seine musikalischen Kooperationen mit Chartgrößen wie Udo Lindenberg, Jan Delay oder Sido. In Hannover war das Publikum jedenfalls genau auf diesen gleichförmigen Geschmack ausgerichtet.
Vor mir saß eine Gruppe von Mitdreißigern, Typen wie Frauen. Davor wiederrum ungekämmte Studenten. Hinter mir saßen Jugendliche, die sich, ihrer Unterhaltung nach, in Helges frühen Werken auskannten. Die alternativen Studenten brüllten bereits vor den ersten Worten los. Sie forderten lautstark die Hits ein. Von Beginn an meinten Sie, das Helge Schneider Publikum mit einfallslosen Zwischenrufen belustigen zu müssen. Als ob der Meister das selber nicht hinbekäme. Viel schlimmer jedoch waren die Mitdreißiger direkt vor mir. Sie waren ungefähr zu zehnt und alle hatten die halbe Vorstellung über ihr Handy draußen. Das Licht der Bildschirme erhellte die gesamten, hinteren Sitzreihen und verschleierte die Sicht zur Bühne. Leider schrieben sie sich gegenseitig keine SMS, sondern laberten lauthals über irgendeinen privaten Kram. Vermutlich ging es um den nächsten Malle Urlaub oder darum, ob das auf der Bühne nun Mario Barth sei oder eben nicht. Sie wirkten auf mich, als hätten sie die Karten für das Konzert gewonnen. Es war unerträglich. Deren stumpfsinniges Gelaber übertönte auch noch den Auftritt von Helge. Mittlerweile ist der ältere Herr neben mir gegangen. Er ist raus und ward nie wieder gesehen. Damit hatte er 40 Euro für 30 Minuten Arschlöcher gezahlt.

Bevor ich der dusseligsten Kuh aus der Herde gegen den Hinterkopf treten konnte, beschwerten sich die Jugendlichen hinter mir bei der Gruppe. Sie sollten gefälligst die Schnauze halten!
„Ingo! Haste gehört was der Spasti gesagt hat? Der soll selber die Schnauze halten!“ Brüllte die degenerierte Kuh vor mir. Ingo saß fünf Plätze weiter links, war fast Vierzig, kräftig bis fett, hatte hochgegeltes Haar mit blondierten Stachelspitzen, ein aufgeknöpftes Hemd von Camp David an und ein Lederarmband um das rechte Handgelenk. Ingo hatte sich für den Abend schick gemacht. Ich weiß nicht mehr, was er geantwortet hatte, aber es war nichts Beschwichtigendes. 

Noch schlimmer war die Alte ganz rechts in der Reihe. Sie beschwerte sich lautstark bei Helge, was das denn für scheiß Musik und wie dumm die Texte seien. Sie hörte keinerlei Witz zwischen den Zeilen heraus. Als Helge, virtuos wie immer, am Klavier improvisierte, fiel ihr doch tatsächlich die Melodie von Beethovens Für Elise auf. „Das nenne ich Musik“, skandierte sie und war direkt in der Melodie vertieft. Oder sie tat nur so, konnte auch sein. Jedenfalls wog sie bei geschlossenen Augen den Kopf von links nach rechts und legte sogar kurz das Handy beiseite. Wie es seine Art ist, baute Helge in sein Spiel die Melodien von bekannten Werbejingles ein. Die Avantgarde Klassikliebhaberin mit den Proletenfreunden checkte gar nichts. Wem zur Hölle wollte sie weismachen, dass sich überhaupt noch irgendetwas in ihrer Runkelrübe abspielte. Erschreckend, wie sich manche Menschen selbst sehen. 

Zum Glück war vieles, das Helge an dem Abend ablieferte, mir bereits bekannt, dennoch möchte ich jedes Wort genau mitbekommen und die musikalischen Einlagen sind sowieso jeden Abend einzigartig und von höchster Qualität. Zumindest das, was ich mitbekommen habe... Unterm Strich ein versauter Abend, dank dem Proletariat. Ich habe kurz überlegt, ob ich der gesamten Truppe ernsthaft wehtun sollte. Den Schnepfen hätte ich gerne nahe gelegt, welchen Beitrag sie leisten und hätte ihnen am liebsten aufgezeigt, wie sie auf andere wirken. Ingo hätte ich ganz einfach eine Gerade verpasst.

Jetzt mal sagen, sowas wie eine Diktatur der Intelligenz würde es tatsächlich geben, wer wäre dabei? Nur mal so ins Blaue gefragt. Und diese Mars Mission, wo genau kann man sich da bewerben? Helge Schneider hat sich richtig entschieden, bloß runter von der Bühne.
Grüße an Sönke, bald ist Weihnachten.

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