Ich war dieses Jahr auf einigen Konzerten. Unter anderem
hatte ich eine Karte für das Helge Schneider Konzert in Hannover. Die Tour mit
dem Namen Pretty Joe und die Dorfschönheiten sollte Helges letzte werden. Diese
Aussage hört man ja oft von alternden Legenden, bestenfalls einmal im Jahr. Dass
Helge es ernst meinte, kriegte ich erst während des Auftrittes mit und im
Nachhinein bin ich recht froh darüber. Dass wir uns nicht falsch verstehen, ich
verehre Helge Schneider und war die letzten Jahre immer auf seinen Tourneen,
deshalb traue ich mich auch zu behaupten, sein Publikum hat sich gewaltig zum
negativen verändert.
Helge ist nicht mehr der Kultkomiker und Musiker, der er
noch zu seinen 00 Schneider Zeiten war. Es fällt mir schwer zu sagen woran es liegt. Vielleicht sind es
die Auftritte bei Stefan Raab oder seine musikalischen Kooperationen mit
Chartgrößen wie Udo Lindenberg, Jan Delay oder Sido. In Hannover war das
Publikum jedenfalls genau auf diesen gleichförmigen Geschmack ausgerichtet.
Vor mir saß eine Gruppe von Mitdreißigern, Typen wie Frauen.
Davor wiederrum ungekämmte Studenten. Hinter mir saßen Jugendliche, die sich,
ihrer Unterhaltung nach, in Helges frühen Werken auskannten. Die alternativen
Studenten brüllten bereits vor den ersten Worten los. Sie forderten lautstark die
Hits ein. Von Beginn an meinten Sie, das Helge Schneider Publikum mit
einfallslosen Zwischenrufen belustigen zu müssen. Als ob der Meister das selber
nicht hinbekäme. Viel schlimmer jedoch waren die Mitdreißiger direkt vor mir.
Sie waren ungefähr zu zehnt und alle hatten die halbe Vorstellung über ihr
Handy draußen. Das Licht der Bildschirme erhellte die gesamten, hinteren
Sitzreihen und verschleierte die Sicht zur Bühne. Leider schrieben sie sich
gegenseitig keine SMS, sondern laberten lauthals über irgendeinen privaten
Kram. Vermutlich ging es um den nächsten Malle Urlaub oder darum, ob das auf
der Bühne nun Mario Barth sei oder eben nicht. Sie wirkten auf mich, als hätten
sie die Karten für das Konzert gewonnen. Es war unerträglich. Deren
stumpfsinniges Gelaber übertönte auch noch den Auftritt von Helge. Mittlerweile
ist der ältere Herr neben mir gegangen. Er ist raus und ward nie wieder
gesehen. Damit hatte er 40 Euro für 30 Minuten Arschlöcher gezahlt.
Bevor ich der dusseligsten Kuh aus der Herde gegen den
Hinterkopf treten konnte, beschwerten sich die Jugendlichen hinter mir bei der
Gruppe. Sie sollten gefälligst die Schnauze halten!
„Ingo! Haste gehört was der Spasti gesagt hat? Der soll
selber die Schnauze halten!“ Brüllte die degenerierte Kuh vor mir. Ingo saß
fünf Plätze weiter links, war fast Vierzig, kräftig bis fett, hatte
hochgegeltes Haar mit blondierten Stachelspitzen, ein aufgeknöpftes Hemd von
Camp David an und ein Lederarmband um das rechte Handgelenk. Ingo hatte sich
für den Abend schick gemacht. Ich weiß nicht mehr, was er geantwortet hatte,
aber es war nichts Beschwichtigendes.
Noch schlimmer war die Alte ganz rechts in der Reihe. Sie beschwerte
sich lautstark bei Helge, was das denn für scheiß Musik und wie dumm die Texte
seien. Sie hörte keinerlei Witz zwischen den Zeilen heraus. Als Helge, virtuos
wie immer, am Klavier improvisierte, fiel ihr doch tatsächlich die Melodie von Beethovens
Für Elise auf. „Das nenne ich Musik“,
skandierte sie und war direkt in der Melodie vertieft. Oder sie tat nur so,
konnte auch sein. Jedenfalls wog sie bei geschlossenen Augen den Kopf von links
nach rechts und legte sogar kurz das Handy beiseite. Wie es seine Art ist,
baute Helge in sein Spiel die Melodien von bekannten Werbejingles ein. Die
Avantgarde Klassikliebhaberin mit den Proletenfreunden checkte gar nichts. Wem zur
Hölle wollte sie weismachen, dass sich überhaupt noch irgendetwas in ihrer
Runkelrübe abspielte. Erschreckend, wie sich manche Menschen selbst sehen.
Zum Glück war vieles, das Helge an dem Abend ablieferte, mir
bereits bekannt, dennoch möchte ich jedes Wort genau mitbekommen und die
musikalischen Einlagen sind sowieso jeden Abend einzigartig und von höchster
Qualität. Zumindest das, was ich mitbekommen habe... Unterm Strich ein
versauter Abend, dank dem Proletariat. Ich habe kurz überlegt, ob ich der
gesamten Truppe ernsthaft wehtun sollte. Den Schnepfen hätte ich gerne nahe gelegt,
welchen Beitrag sie leisten und hätte ihnen am liebsten aufgezeigt, wie sie auf andere wirken.
Ingo hätte ich ganz einfach eine Gerade verpasst.
Jetzt mal sagen, sowas wie eine Diktatur der Intelligenz
würde es tatsächlich geben, wer wäre dabei? Nur mal so ins Blaue gefragt. Und diese
Mars Mission, wo genau kann man sich da bewerben? Helge Schneider hat sich
richtig entschieden, bloß runter von der Bühne.
Grüße an Sönke, bald ist Weihnachten.
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