Montag, 16. Mai 2011

Ostermontag, den 25. April 2011 - Tanja

Es ist Montag – Mist! – und morgendlich grüßt der falsche Fuß, mit dem man aufsteht. Wenn man arbeitet, dann weiß man insbesondere das Wochenende zu schätzen und den Montag zu hassen.
Zu dem kam hinzu, dass es sich bei dem besagten Montag um einen Ostermontag handelte und meine Ostereier ausblieben. Ich bin, lebe und arbeite in China – christliche und deutsche Feiertage interessieren hier nicht wirklich. Die meisten Chinesen sind Buddhisten oder nicht religiös. Einige westliche Feiertage wurden zwar „eingebürgert“, aber was Ostern in China angeht, so sollte man die im Sojasud eingelegten und schwarz gefärbten Eier im Supermarkt nicht mit Ostereiern verwechseln.

Auf dem Weg zur Arbeit machte ich einen kurzen Stopp am Zeitungsstand. Für umgerechnet 30 Cent stattete ich mich mit Zeitungen aus, mit denen ich meine Zeit im Büro irgendwie nützlich absitzen wollte. Ich wusste, es würde kein spektakulärer Arbeitstag werden, denn schließlich hatten alle deutschen Büros geschlossen und neue Aufträge blieben dementsprechend aus. Es ist keine Seltenheit, dass ich mir chinesische Zeitungen kaufe. Warum kaufe ich mir bloß “so einen zensierten Müll“, werde ich oft gefragt. Jeder hört und liest von Chinas Zensuren, aber wer, wenn nicht der mit dem direkten Vergleich vor Ort, kann einem wirklich sagen wie viel Zensur nun wirklich dahinter steckt?
Am Zeitungsstand wurde ich gleich wieder auf meine Nationalität angesprochen.
你是哪里人?“
您猜猜!
法国人!“
Wieso denn immer Frankreich? Macht es mein blau-weiß gestreiftes Oberteil aus? Ist es das Stückchen Baguettebrot, das mir noch vom Frühstück zwischen den Zähnen hängt? Jedenfalls ging mir die Sache den ganzen Tag lang nicht aus dem Kopf. Seitdem ich in Shanghai lebe, wird mir Frankreich nachgesagt. In Peking war es Russland, was schon offensichtlicher ist. Aber aus Deutschland?! Niemals. Die Begründung dafür wird zum Schutz von Volk und Staat zensiert.
Jedenfalls fällt es den Chinesen ebenso schwer einen Deutschen von einem Engländer wie es für viele Europäer schwer ist einen Koreaner von einem Japaner oder Chinesen zu unterscheiden.

 Auf der Arbeit angekommen, klappte ich auch schon die erste Zeitung auf. Die Japan-Katastrophe scheint in Vergessenheit zu geraten. Selbst in den Zeitungen kräht kein Hahn mehr nach. Ein kleiner Artikel mal hier und dort. Ich erinnere mich noch an Zeiten, in denen die Zeitungen über Panikkäufe von Salz in China berichteten und dazu führten, dass ganze Salzsortimente innerhalb eines Tages in Shanghai ausverkauft waren. Nun konzentriert man sich wieder auf Inlandsthemen. Schlagzeilen des Tages waren Befunde von toxischen Inhaltsstoffen in Nudeln, die in einigen Provinzen zu Massenvergiftungen geführt hatten und die Debatte um den Verzehr von Hundefleisch in China. Hier gehen Meinungen auseinander. Ich habe noch nie Hundefleisch gegessen und werde es auch nicht tun. Wir sind in einem Land groß geworden, in dem der Hund als ein intelligentes Wesen die Rolle des besten Freundes eines Menschen eingenommen hat. Aber die Chinesen dafür zu kritisieren halte ich ebenfalls für falsch. In einigen Regionen Chinas wird Hundefleisch schon seit Jahrhunderten gegessen. Chinesen sind nicht gleich schlechtere Menschen, weil sie andere und für uns fremde Essgewohnheiten haben. Chinesen essen kein Pandafleisch. Australier hingegen essen ihr stolzes Nationalsymbol. In Frankreich essen sie Froschbeine, in Thailand Insekten und in Deutschland isst man rohes Fleisch in Form von Mett. Alles Dinge, die bei Chinesen ebenfalls für Stirnrunzeln sorgen.

Mein Arbeitstag beginnt um Punkt 9:00 Uhr, früher gerne aber nicht später. Gearbeitet wird auf die letzte Sekunde, bis der kleine und große Zeiger auf 18:00 Uhr stehen. Überstunden sind jederzeit willkommen. Zwischen 12:00 und 13:00 Uhr hat man Mittagspause. Ich las 3 Stunden an der ersten Zeitung bis der Sekundenzeiger auf 12:00 Uhr stand. Wie immer treffe ich mich zum Mittag mit A. beim Türken um die Ecke. Kervan Türk heißt das gute Restaurant, welches man nicht mit dem Dönermann an der nächsten Seitenstraße verwechseln sollte. Ich bestellte mir wie so oft mein Hühnchensteak mit türkischem Reis und Salat. Das extra Fladenbrot und den Tzaziki bekommen wir bereits kostenlos dazu.
Heute sah man ungewöhnlich viele Chinesen im Restaurant. Normalerweise gehen hier Ausländer ein und aus. Ein Mittagstisch kostet hier 35 RMB (ca.4 Euro).
Meine Arbeitskollegen sagen mir immer, dass man mit 35 RMB etwa 3-4 Tage über die Runde kommen würde, wenn man mittags in den kleineren chinesischen Restaurants nebenan essen würde. Außerdem sagten zwei meiner Arbeitskollegen, die aus Neugier einmal mit mir mitgegangen sind, es sei eine viel zu große Umstellung für sie hier zu essen. Es sei ruhig, geordnet, sauber und modern eingerichtet – das absolute Gegenteil zu dem, was sie gewohnt waren. Vor dem Besteck fürchteten sie sich am meisten. L. kullerten bereits bei dem bloßen Anblick des Bestecks und der verzweifelten Suche nach zwei Holzstäbchen die ersten Schweißtropfen die Stirn herunter. In der Tat sah ich auch an diesem Tag einen Chinesen mit dem Suppenlöffel ins Brot stechen. Mit der Gabel könnte man noch umgehen, aber welchen Zweck das Messer haben soll und wie man es zu halten hat, das bleibt ein großes Rätsel für jemanden, der nicht oft westlich essen geht. Ich musste schmunzeln. Meine ersten Essstäbchenversuche sahen mit Sicherheit nicht anders aus. Die Stäbchen wollten nicht miteinander harmonieren, man griff ins Leere und der Reis blieb entweder in der Schale oder verlor sich zu 60 Prozent auf dem Boden. Ich stellte mir die Szene mit Uma Thurman aus Kill Bill vor, in der sie verzweifelt versuchte aus einer Reisschale mit Stäbchen zu essen.
Gegen 12:45 Uhr ging es wieder zurück ins Büro, wo ich noch bis 18:00 Uhr absaß.
Dann ging es mit der Metro in Richtung Apartment, in der mich A. schon abfing.
A. hatte noch Besuch aus Deutschland. Er hatte sich die letzte Woche komplett frei genommen, um seinen vier Schirikollegen eine unvergessliche Zeit in Shanghai zu bieten. Ein Plan, der auf ganzer Linie aufging.
Heute aber war der 8. Tag. Der 8. von insgesamt 10 und somit auch der letzte Abend, an dem noch hochmotiviert die Gläser gestemmt wurden. Ich hatte nur selten solche Spriteulen erlebt. Gespannt wartete ich auf den Tag, an dem die Jungs an die Grenzen ihrer Trinkfestigkeit stoßen. Ich hätte es ahnen können, dass es der heutige Tag werden müsste.
Auf ihren Wunsch hin, gingen wir zum gemeinsamen Abendessen ins Teppanyakihaus. Wer die völlige Völlerei und den darauffolgenden Knock-Out sucht, ist hier an der richtigen Adresse (15 Dongping Lu,平路15). Japanischer Pflaumenwein wird im Laufe des Abends zum Wasser und Durstlöscher zugleich. Wir hatten einen eigenen Raum mit Chefkoch bekommen. Auch V. und E., dass etwas versnobte Pärchen aus München saßen bei uns am Tisch. Norddeutschland traf auf Süddeutschland – die Klischees hätten nicht besser passen können.
E. fiel uns allen von Anfang an auf. “Ist das etwa Gemüse? Ich mag aber kein Gemüse!“, wie ein kleines Kind, das von seinen Eltern gezwungen wird Grünzeug zu essen. Ich hatte mich durchweg von einem Moment zum anderen fremdgeschämt. Ob es das Gespräch war, in dem es darum ging, wer denn nun das meiste Geld aus dem Freundeskreis hat oder die Sektflasche, die sich Madame E. für sich bestellt hatte und alles andere als in das Gesamtbild passte. V. nannte sie auch seine “Stewardess, die Internationale Kommunikationswissenschaften studiert“. Die Betonung lag auf INTERNATIONAL – klingt besser. Außerdem studiert er Jura in München. In MÜNCHEN. JURA.
Auf jeden Fall war ein Gespräch mit den beiden nicht zu vermeiden. Beide waren der chinesischen Sprache nicht fähig und die Bedienung konnte ein nur zu schlechtes Englisch.
So mussten A. und ich den beiden bei ihrer exklusiven Bestellung weiterhelfen.
Y. machte den ersten Schritt und lockerte die Gespräche auf: „Ihr nennt uns also Fischköpfe da unten, was?“ (Zustimmung und Gelächter ihrerseits) „Wir nennen euch Brezelfresser!“ (Gelächter unsererseits). So nahmen die Gespräche ihren Lauf und der Pflaumenwein wurde immer großzügiger nachgegossen. Das gefällte E. gar nicht, denn V. versuchte selbstverständlich die Münchner Trinkfestigkeit unter Beweis zu stellen. Und E.? Sie sah mit jedem weiteren Pflaumenwein auf Ex ihren glamourösen Abend in der Nobeldisco schwinden. Der Japaner hatte offiziell schon geschlossen und gegen 23:00 Uhr waren wir Acht die noch einzig verbliebenen Gäste im Restaurant. Wir bedienten uns selber und der Kellner machte währenddessen ein Nickerchen im Nebenraum. Schließlich gab V. auf und wir konnten das Teppanyakihaus gegen Mitternacht verlassen.
An dieser Stelle trennten sich auch die Wege. Die Jungs fuhren weiter in den Club und A. und ich stiegen ins nächste Taxi in Richtung Apartment. Um 7 Uhr morgens würde für uns der Wecker zur Arbeit klingeln.
Ob sich die Jungs mit dem Pflaumenwein schon ins Abseits geschossen haben?!

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