Dienstag, 17. Mai 2011

Dienstag, den 26. April 2011 - Tanja

Es ist ein Dienstag- und somit auch wieder der richtige Fuß!

Wache Augen, spitze Ellenbogen und zwei gute Standbeine hatte ich auch heute auf dem Weg zur Arbeit gebraucht. Am Morgen die Metro in Shanghai zu nehmen ist wie 1. Reihe Hatebreed Konzert. Da wird gedrängelt, geschubst, die Ellenbogen gespitzt, Kopfnüsse verteilt und geschwitzt.


Es war 8:30 Uhr als ich die Treppe zur Metro hinunterging. Hier trifft sich die arbeitstüchtige Ameisenkolonie. An den meisten Tagen ist man es bereits gewohnt in der Menschenmasse zu versinken, aber es gibt wiederum auch Tage, an denen man am liebsten einen Stacheldrahtzaun um sich herum binden würde. Heute zum Beispiel war so ein Tag. Wir standen mittig der “Warteschlange“. Vor uns und neben uns standen mindestens 20 Leute, die nur hektisch darauf warteten, sich in die nächste Metro zu quetschen. Einige von ihnen knurrten bereits und knirschten mit den Zähnen. Ich hatte mich gefragt, wie viele wohl von ihnen in die nächste Metro passen würden und wann wir an die Reihe kommen. Ich hatte fälschlicherweise auf zwei bis drei Fahrten getippt.


Ich sah zur Tür und konnte es mal wieder nicht fassen wie viele von ihnen letztendlich doch noch in die bereits komplett überfüllte Metro passten. Als sich die Tür öffnete, wurden die vordersten Leute mit einer gewaltigen Wucht aus der Metro hinausgeschleudert, ähnlich wie angesammeltes Stauwasser, das bei einem gebrochenen Damm herausströmt. Während die einen rausdrücken, stürmen die anderen gleichzeitig rein. Ein bitterer Kampf durch das Dickicht, was sich Chaos pur nennt. Auf den ersten Blick könnte man meinen, es passen nur noch zwei Leute hinein. In Shanghai werden aus zwei gleich mindestens 10 - und dann steht man da wie die Hühner auf der Stange: wie angewurzelt, Hintern an Hintern, Haut an Haut und das Atmen fällt einem schwer. Anfangs nahm man das ganze noch mit Humor und Geduld. Aber wenn man diesen Krieg täglich mitmachen muss, dann kommt man an einen Punkt, der sich Fassungslosigkeit und Unfassbarkeit nennt.


Generell ist auf folgendes zu achten:




1. Lass die Höflichkeitsfloskeln und spiele mit chinesischen Karten.


2. Nimm die erste Metro, die du kriegen kannst.


3. Glaube niemals, es würde bei der nächsten Fahrt leerer werden.


4. Warte nicht, bis alle Fahrgäste draußen sind. Schwimme mit dem Strom und ggfs. auch gegen den Strom. Vergiss aber nie die Ellenbogen!


5. Sichere dir möglichst einen Platz an der Tür.


6. Gehe niemals zu weit rein, ansonsten kommst du nicht mehr raus.


7. Hast du einen Platz gefunden, schlüpfe in die Rolle des eisernen Felsen in der Brandung.


8. Trage niemals helle geschweige denn weiße Schuhe, es sei denn du wolltest sie ohnehin schwarz färben lassen.


9. Möchtest du nicht gerupft werden, trage möglichst einen Pferdeschwanz und selten die Haare offen.


10. Trägst du eine Strumpfhose, habe stets eine Ersatzstrumpfhose dabei.


11. Stehe niemals in der Mitte eines Ganges. Es wird Ping Pong mit dir gespielt.


12. Beim Aussteigen gilt es Zähne zu zeigen und Ellenbogen zu nutzen.


13. Niemals langsam aus der Metro gehen, ansonsten überrollt dich die Lawine von hinten.




“Da Shijie dao le“ – hier muss ich aussteigen. Es ist immer dasselbe Verhalten. Kaum öffnet sich die Tür und alle wollen die oder der erste an der Rolltreppe sein, ob man nun jemanden umfährt oder auch nicht. Das Verhalten ähnelt einer Schar von Mäusen, die Käse gewittert haben und instinktiv dem Geruch folgen. Wozu die ganze Hektik?! Am Ende ist keiner schneller als der andere, ob man nun wie verrückt gehetzt ist oder in Ruhe die Rolltreppe genommen hat, denn oben angekommen bildet sich auch schon die nächste Warteschlange.


Es war ohnehin ein sehr heißer und sonniger Tag. Ich hätte mir bloß keine Jeans anziehen sollen! Am Fahrstuhl zum Büro erwartete mich die nächste Ladung Gruppenkuscheln. Wieder musste gequetscht werden und wieder stand man mit 20 Leuten in einem Raum, der für mein Befinden gerade einmal groß genug für 8 Personen ist. Hätte meine Nase gejuckt, hätte ich noch nicht einmal den Arm heben können, um mich zu kratzen. Ich war genervt. Der Fahrstuhl hielt zu meinem Ärger auch noch an jedem Stock. Im 16. Stock angekommen klebte meine Jeans bereits wie eine zweite Haut an meinem Körper. Ich brauchte wieder Platz, frische Luft und einen Ventilator, um wieder runterzukommen!


Um Punkt 18:00 Uhr endete der Arbeitstag für mich. Ich fuhr nach Hause und das um weiten entspannter als am Morgen - auch wenn der ein oder andere mir wieder auf die Füße getreten ist. Heute war der letzte Shanghaier Abend für die Jungs. Geplant war ein letztes großes gemeinsames Abendmahl, was letztendlich doch im kleinerem Rahmen stattgefunden hat. Es war wohl ein Glas Pflaumenwein zu viel gestern! Oder doch 10?! Auf jeden Fall sind wir ins beschauliche Las Tapas gegangen – kleine spanische Häppchen für viel Geld. Die Jungs sahen sichtlich angeschlagen aus und ich hatte mit einem ruhigen Abschiedsabend gerechnet.


Schließlich landeten wir doch noch in einem Club. Alles hatte angefangen mit einem Konterbier, den U. ausrief, und der wachsenden Motivation für ein weiteres Bier auszugehen. Während Y. und U. sich noch zurückgehalten haben, nahmen C. und S. wieder ihre alte Gestalt an und besorgten sich Free Flow Bändchen für die noch bevorstehende lange Nacht. Ich bin nicht der geborene Tanzbeinschwinger – nur an exzellenten Orten mit exzellenter Musik. In einem gewöhnlichen Club hingegen findet man mich immer in einem guten Abstand zur Theke, von wo aus ich den besten Blick auf den bunten Zoo habe. Hier findet sich so einiges wieder:


Die Sträuße, die, wenn sie zu tief ins Glas geschaut haben, den Kopf in die Toilette halten.


Die Pfauen, die Art von Vögeln, die es sich auf den teuren Couchecken gemütlich machen und durstige Weibchen mit ihrer Schleppe aus Geldfedern anlocken.


Der Nimmersatt, der gezielt nach seinem westlichen Fang sucht und seine Beute im richtigen Moment abfängt.


Die Stachelschweine, die tagsüber unscheinbar sind und erst zur Dämmerung aus ihrem Bau hervorgekrochen kommen, um sich auf die Suche nach Futter zu machen.


Der Papagei, der viel Aufmerksamkeit braucht und allen anderen Vögeln die Show stehlen will.


Der Schluckspecht, der es sich an der Theke gemütlich macht.


Und nicht zu vergessen die platinblonden Gogo-Dancerinnen.


Vermutlich waren A. und ich die einzigen Arbeitstiere im heutigen Zoo, die am nächsten Tag schon früh aus dem Haus mussten. Wir hatten uns von den anderen verabschiedet und machten uns auf den Heimweg.

2 Kommentare:

  1. Du solltest dein Worte binden lassen; ich würde es sehr gern aufschlagen!

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  2. Wirklich sehr gut geschrieben... und... ich kann mir die Szenen in meiner alten Heimat wieder genau vor Augen führen.
    Ein Glück hab ich vor meiner Zeit in Shanghai noch ordentlich Kung Fu trainiert.. damit war dann die U-Bahn-Fahrerei ein Klacks. :D

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