Um 6 Uhr bin ich wach. Die alte „aufstehen und zur Arbeit
fahren“ Zeit. Das geht ja einigen so, der Kopf hat längst gekündigt, nur der
Körper macht bis zum 64. Lebensjahr weiter.
Um 7:30 Uhr stehe ich auf und bringe den Müll an die Straße.
Die Hannoveraner packen ihr Altpapier in blaue Kunststoffsäcke. Schizophren,
aber sonst weht das Papier durch die Gegend oder wird nass und schwer… ich habe
keine Ahnung was das soll.
Um 10 Uhr habe ich das Vorstellungsgespräch. Ich finde,
Vorstellungsgespräche sollten grundsätzlich in Kneipen stattfinden, das wäre
viel ehrlicher und würde beiden Seiten ein realistischeres Gesamtbild
verschaffen.
Grundsätzlich läuft es leider anders ab. Ich stelle mir das
so vor: da gibt es eine gewitzte Agentur, die vor Arbeitgebern Seminare hält,
worauf sie in Vorstellungsgesprächen beim Bewerber zu achten haben.
Körpersprache; Dresscode; wo setzt sich der Bewerber hin; Wasser oder Kaffee; welche
Aussage beinhaltet grundsätzlich was ganz anderes; wo liegen die versteckten
Schwächen… usw.
Dieselbe Agentur hält dann die entsprechenden Seminare für
den Arbeitsuchenden, gesponsert vom Amt oder so. Was sagt welche Körperhaltung
aus; was ziehen sie angemessenes an; setzten sie sich nie an den Kopf des
Tisches; immer ein Getränk annehmen; vermeiden sie folgende Begriffe; sagen sie,
sie könnten sich nicht mit 80% Lösungen zufrieden geben… usw.
Und so krampft jedes Gespräch völlig durchcodiert vor sich
hin und die Agentur für das Karriereglück lässt sich den Arsch vergolden.
Das Büro der Firma befindet sich im fünften Stock. Ich
hoffe, man merkt es mir nicht an, dass ich die Treppe genommen habe. Das
Gespräch verläuft super. So wie es halt sein sollte, locker, respektvoll,
ehrlich und lustig. Ja, lustig! Meine Ausführungen kommen gut an und er hat
auch ein paar Kracher drauf. Wir lachen uns gewissermaßen über die
Berufsmaschinerie kaputt. Alles sehr sympathisch.
Zwei Stunden saß ich im Gespräch… Das Wetter ist kaiserlich,
weshalb ich mir einen Teil meiner reichlich vorhandenen Zeit nehme und durch die Innenstadt schlendere. Ich gehe gerne
zu Fuß, auch in Hannover latsche ich alles ab. Zeit zum denken, und ich meine damit nicht nachdenken
oder sich Sorgen machen. Wann machen das andere eigentlich, wenn die immer soviel zu tun haben? Jeder und Alles fordert ständig ein Stück Ihrer Aufmerksamkeit. Meiner Einschätzung nach, wollen es die „Betroffenen“ nicht
anders. Worüber sie sich im Grunde wirklich beklagen, ist ein fehlendes Lob dafür, standhafte
Säulen der Gesellschaft zu sein. Für mich fiele das Lob eher bescheiden aus.
Teilnehmerurkunde hieß das bei den Bundesjugendspielen.
Marlboro schickt mir eine Gratispackung ins Haus. Jetzt ohne
Zusätze. Leider liegt kein Schreiben bei: Danke für unsere Jobs, Mit
freundlichen Grüßen, die NGG.
Erste Nervosität schleicht sich ein. Heute ist das
Halbfinale der Champions League, Bayern gegen Real Madrid. Wenn man Real die
letzten Spiele beobachtet hat, weiß man um die geringe Chance der Bayern.
Nämlich 50:50. Ich schaue das Spiel im Klein Kröpke, bei mir um die Ecke. Eine
Gruppe Spanier setzt sich genau vor mich. Wenigstens haben sie ihre Gitarren im
Wohnheim vergessen. Es steht bereits 0:1 für Real als ich mein erstes Weizen an
den Tisch bekomme. Ich Idiot bestelle ein zweites und prompt steht es 0:2. Es
ist die alte, scheinbar jedem bekannte, Schwäche der Bayern. Die Standardsituationen.
Weder erzielen sie Tore aus Standards, noch wissen sie wie man sie verteidigt.
Als ich den Biergarten verlasse, steht es bereits 0:3. Ich
gehe rüber in die Cocktailbar. Bis auf zwei Studentinnen ist der Laden herrlich
leer. Ich bestelle mir einen Blue Lagoon und schaue die zweite Halbzeit in der
Bar auf einen der beiden kaputten Fernseher. So was Dummes. Da ist CL
Halbfinale und bei dem einen Fernseher ist die linke Seite blind und bei dem
anderen krisselt das Bild wie bei uns früher RTL.
Alles besser als im Biergarten des Klein Kröpcke. In erster
Linie saßen da Anti-Bayern Fans, dann Lokalpatrioten und dann vielleicht
Fußballinteressierte. „Estoy feliz y tú tambien”, jaja, ihr mich auch.
In der Cocktail Bar ist es ganz angenehm und tatsächlich stellt sich bei
mir ein innerer Frieden ein. Die 0:4 Niederlage kann ich
akzeptieren, nur schade, dass kein Österreicher die Partie pfiff, die Musik von
Spotify ist auch nicht so schlecht und ich glaube, der Blue Lagoon ist ein
Mädchencocktail.
Zu Hause schaue ich endlich Gravity. Tolle Kamerafahrten,
sonst unspektakulär. Arte zeigt viel zu spät den Film Blue Valentine. Es geht
darum was passiert, wenn man aus den falschen Gründen liebt und der ständige
Vorwurf der Frau: schaffe mehr, sei bedeutsam, sei was Besonderes, schöpfe dein
Potenzial aus usw. Guter Film.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen